FamFG § 81, RVG § 56 Abs. 2 S. 2 und 3, VV RVG Nr. 1000 1003
Leitsatz
Eine Einigung im kostenrechtlichen Sinne liegt vor, wenn die Eltern in einem sorgerechtlichen Verfahren übereinstimmende Erledigungserklärungen abgeben, nachdem sie sich zuvor darüber verständigt haben, dass dem einen Elternteil eine umfassende Sorgerechtsvollmacht erteilt werden und es deshalb bei der gemeinsamen elterlichen Sorge verbleiben soll.
OLG Braunschweig, Beschl. v. 19.6.2023 – 1 WF 65/23 (AG Braunschweig)
1 Aus den Gründen
Gründe: I. [1] Das Verfahren betrifft die aus der Landeskasse zu erstattende Rechtsanwaltsvergütung in einem Sorgerechtsverfahren.
[2] Mit Schriftsatz vom 17.3.2022 hat die Kindesmutter die Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge für die beiden minderjährigen Töchter der Beteiligten beantragt. Das Gericht hat für die Kinder einen Verfahrensbeistand bestellt und eine Stellungnahme des Jugendamts eingeholt. Mit Beschl. v. 14.7.2022 hat es der Mutter Verfahrenskostenhilfe für die erste Instanz unter Beiordnung ihrer Verfahrensbevollmächtigten bewilligt. Im Termin am 14.9.2022 sind die Beteiligten persönlich angehört worden. Ferner wurde ausweislich des Sitzungsprotokolls die Sach- und Rechtslage hinsichtlich einer gütlichen Einigung und der Erteilung einer Sorgerechtsvollmacht seitens des Vaters erörtert. Sodann unterzeichnete der Vater eine Generalvollmacht, die als Anlage zum Protokoll genommen wurde. Die Mutter erklärte, sie werde die Vollmacht bei der Schule und beim Kinderarzt hinterlegen und den Vater unterrichten, wenn sie von der Vollmacht Gebrauch mache. Daraufhin haben die Beteiligten übereinstimmend die Erledigung des Verfahrens erklärt. Das Gericht hat sodann protokolliert, dass aufgrund der Einigung der Beteiligten und der Erteilung der Vollmacht von einer vergleichsweisen Regelung ausgegangen werde. Ferner hat es beschlossen, die der Kindesmutter bewilligte Verfahrenskostenhilfe auch auf die vergleichsweise Einigung zu der Generalvollmacht zu erstrecken.
[2] Mit Antrag vom 14.9.2022 hat die Verfahrensbevollmächtigte der Mutter die Festsetzung ihrer aus der Staatskasse zu zahlenden Vergütung i.H.v. insgesamt 1.181,67 EUR beantragt. Dabei hat sie auch eine Einigungsgebühr nach Nr. 1003 VV RVG i.H.v. 278,00 EUR geltend gemacht. Das Amtsgericht hat nach Anhörung des Bezirksrevisors unter Absetzung der Einigungsgebühr nebst anteiliger Umsatzsteuer die Vergütung durch Beschl. v. 15.12.2022 auf insgesamt 850,85 EUR festgesetzt.
[3] Auf die hiergegen gerichtete Erinnerung der Verfahrensbevollmächtigten der Mutter vom 16.2.2023 hat die Abteilungsrichterin des Amtsgerichts die Vergütungsfestsetzung durch Beschl. v. 9.3.2023 dahingehend geändert, dass auch die Kosten für die Einigungsgebühr i.H.v. 278,00 EUR nebst anteiliger Umsatzsteuer festzusetzen sind. Sie hat ausgeführt, die Beteiligten hätten sich im Termin am 14.9.2022 dahingehend verglichen, dass eine Sorgerechtsvollmacht erteilt und das Verfahren dann übereinstimmend für erledigt erklärt werden solle. Dieser Beschluss ist dem Bezirksrevisor gemäß Verfügung vom 27.3.2023 formlos übersandt worden.
[4] Mit Schreiben vom 13.4.2023, beim Amtsgericht eingegangen am 14.4.2023, hat der Bezirksrevisor hiergegen Beschwerde eingelegt und diese nach Akteneinsicht mit Schreiben vom 26.4.2023, auf das wegen der Einzelheiten seines Vorbringens Bezug genommen wird, begründet. Er macht insbesondere geltend, eine Einigungsgebühr könne nicht allein dadurch anfallen, dass das Gericht protokolliere, dass es sich um eine vergleichsweise Regelung handeln solle. Für die abgegebene Erledigungserklärung entstehe keine Einigungsgebühr.
[5] Mit Verfügung vom 14.5.2023 hat das Amtsgericht der Beschwerde nicht abgeholfen und die Angelegenheit dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.
II. [6] Die Beschwerde ist gemäß §§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 2 RVG zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.
[7] Die Einigungsgebühr gem. Nr. 1003, 1000 VV RVG ist im vorliegenden Fall angefallen. Gem. Nr. 1000 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG entsteht die Gebühr für die Mitwirkung beim Abschluss eines Vertrages, durch den der Streit oder die Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis beseitigt wird. In Kindschaftssachen entsteht die Gebühr gemäß Nr. 1003 Abs. 2, 2. Alternative VV RVG auch für die Mitwirkung an einer Vereinbarung, über deren Gegenstand nicht vertraglich verfügt werden kann, wenn hierdurch eine gerichtliche Entscheidung entbehrlich wird oder wenn die Entscheidung der getroffenen Vereinbarung folgt. Erforderlich ist daher ein Vertrag oder – im Falle der fehlenden Verfügungsbefugnis über den Verfahrensgegenstand – eine gemeinsame Empfehlung für die Regelung des Verfahrensgegenstandes an das Amtsgericht. Nicht ausreichend sind demgegenüber eine Beendigung des Rechtsstreits durch Anerkenntnis oder Verzicht i.S.v. Nr. 1000 S. 2 VV RVG oder eine einseitige Erledigungserklärung ohne eine vorausgehende Einigung (KG Berlin, Beschl. v. 15.4.2019 – 19 WF 15/19, juris Rn 5; OLG Celle, Beschl. v. 8.4.2013 – 10 WF 105/13, juris Rn 6). Hingegen liegt ...