Eines der Reformziele des FamFG bestand in der Vereinfachung des Verfahrens des einstweiligen Rechtschutzes, ein anderes in die Überlegung, durch die "neue" einstweilige Anordnung nach Möglichkeit ein Hauptsacheverfahren in vielen Fällen entbehrlich zu machen. Schon vor der Gesetzesreform hatte es den Hinweis auf die Anordnung als "scharfes Schwert" gegeben, mit dem man vorsichtig umgehen solle; nach Inkrafttreten der Reform wurde – erneut ebenfalls von richterlicher Seite – davor gewarnt, ein Eilverfahren zu "denaturieren" und faktisch zum Hauptsacheverfahren zu machen.
Die Warnungen waren berechtigt, sie sind es auch weiterhin. Die Gesetzesänderung in Form der §§ 49 – 57 FamFG hat eine erhebliche Ausweitung der einstweiligen Anordnung nach Zeit und Höhe mit sich gebracht. Während früher eine auf Unterhalt gerichtete einstweilige Verfügung auf den Notunterhalt und auf einen begrenzten Zeitraum beschränkt war, kann nunmehr mit der einstweiligen Anordnung der volle Unterhalt ohne zeitliche Begrenzung verlangt werden.
Vor dem Hintergrund der angesprochenen Zielsetzung des Reformgesetzgebers war das sicherlich gut gemeint; aber ist es auch gut gemacht? Hier sind Zweifel angebracht. Die Möglichkeit, den vollen Unterhalt und diesen auch ohne zeitliche Beschränkung geltend zu machen, kontrastiert mit dem Umstand, dass im summarischen Verfahren nur eingeschränkte Erkenntnismöglichkeiten bestehen; auch die Beweisanforderungen sind eingeschränkt, statt des Vollbeweises reicht eine überwiegende Wahrscheinlichkeit. Wertigkeit und Bestandskraft sind schon von daher geringer als bei einer im "normalen" Verfahren ergangenen gerichtlichen Entscheidung. Ein weiterer Widerspruch: Wie kann es sein, dass im summarischen Verfahren mit eingeschränkten Erkenntnismöglichkeiten auch schwierige Rechtsfragen geprüft werden sollen? Das ist zweifelhaft erst recht vor dem Hintergrund, dass gemäß § 114 Abs. 4 Nr. 1 FamFG kein Anwaltszwang besteht. Schließlich kommt hinzu, dass das System der Rechtsbehelfe (§§ 52, 54, 57 FamFG) insbesondere für nicht anwaltlich vertretene Beteiligte durchaus verwirrend ist.
Schon vor diesem Hintergrund sollte in materiell-rechtlicher Hinsicht Zurückhaltung bei der Höhe des Anspruchs geübt und in Fällen einer sich absehbar verringernden Bedürftigkeit, etwa aufgrund steigender Erwerbsobliegenheit ab Rechtskraft der Scheidung, von der Möglichkeit der Anspruchsbefristung nach § 56 Abs. 1 S. 1 FamFG Gebrauch gemacht werden.
Angesichts dessen hat das AG zu Recht den Erlass einer einstweiligen Anordnung unter Hinweis auf ein fehlendes Regelungsbedürfnis abgelehnt. Bei eigenen Einkünften von über 4.850 EUR konnte die Ehefrau darauf verwiesen werden, ihren Lebensunterhalt durch diese eigenen Einkünfte zu bestreiten; ein Eilverfahren passt in solchen Fällen nicht. Richtig ist auch der weitere Hinweis des Gerichts darauf, dass ein Regelungsbedürfnis nicht immer schon dann anzunehmen ist, wenn der Unterhaltsanspruch streitig ist; denn dann wäre jedes Hauptsacheverfahren obsolet, und das summarische Verfahren würde tatsächlich "denaturiert". Und schließlich: Gerade dann, wenn es – wie vorliegend – um Fragen der konkreten Bedarfsbestimmung legt, gehört der Streit angesichts der systemimmanent eingeschränkten Aufklärungsmöglichkeiten wie aufgrund der Anspruchshöhe nicht in ein Anordnungsverfahren.
Prof. Dr. Winfried Born, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Familienrecht, Dortmund
FF 9/2024, S. 374 - 376