Dr. Ingeborg Schulze-Heiming
Auch im Rahmen des familienrechtlichen Mandates sollte der Rechtsanwalt seinen Mandanten fragen, ob eine letztwillige Verfügung bereits errichtet worden ist.
Einseitige letztwillige Verfügungen
Nach § 2077 Abs. 1 S. 1 BGB ist eine letztwillige Verfügung, durch die der Erblasser seinen Ehegatten bedacht hat, unwirksam, wenn die Ehe vor dem Tode des Erblassers geschieden wurde. Durch § 2077 Abs. 1 S. 3 BGB wird diese Unwirksamkeitsfolge auf den in § 1933 S. 1 BGB für die gesetzliche Erbfolge beschriebenen Fall vorgelagert. Damit hat man es mit den bereits beschriebenen Unsicherheiten zu tun, was dazu führt, dass man sich nicht unbedingt auf das automatische Entfallen der Wirksamkeit einer solchen Verfügung durch ein Scheidungsverfahren verlassen sollte. Will der Mandant auf keinen Fall an der Wirksamkeit seiner letztwilligen Verfügung, die den getrennt lebenden Ehegatten berücksichtigt, festhalten, ist ihm – je nach gewählter Gestaltungsform – zu empfehlen, ein Testament mit abweichendem Inhalt zu errichten, das bestehende Testament zu vernichten, ein Testament aus der amtlichen Verwahrung zu nehmen, gegebenenfalls die Ausübung eines Widerrufes, eines Rücktrittsrechtes oder auch die Anfechtung der Verfügung durch den Testierenden oder einer hierzu berechtigten Person. Festzuhalten ist für die Beratungspraxis, dass der Mandant aktiv werden muss. Darauf ist er hinzuweisen.
Nach § 2077 Abs. 1 S. 1 BGB ist die Wirksamkeit einer letztwilligen Verfügung zugunsten des Ehegatten im Zweifel (Abs. 3) vom Bestehen der Ehe beim Tode des Erblassers abhängig. Bei Testamentserrichtung muss die Ehe bereits bestanden haben. Abs. 1 S. 1 gilt auch, wenn der Erblasser und die bedachte Person bei Testamentserrichtung verlobt waren und danach geheiratet haben.
Aufzupassen ist allerdings bei folgendem Sachverhalt, der in der familienrechtlichen Praxis nicht selten vorkommt. Der Mandant, der sich von seinem Ehegatten scheiden lassen will, hat vor der Ehe mit dem Ehegatten in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft gelebt. Zur Absicherung, da insoweit kein gesetzliches Erbrecht des/der Lebensgefährten/in vorlag, hat er seinerzeit ein Testament zugunsten des späteren Ehegatten errichtet. Dieses Testament wird durch Rechtskraft einer Scheidung, oder auch vorgelagert durch Rechtshängigkeit des Scheidungsantrages (alternativ Zustimmung) bei Vorliegen der Scheidungsvoraussetzungen, nicht unwirksam. § 2077 Abs. 1 S. 2 BGB greift nur ein, wenn der Erblasser zum Zeitpunkt der Errichtung des Testamentes zumindest verlobt war. Langjähriges Zusammenleben ohne konkrete Heiratsabsicht stellt auch dann kein Verlöbnis dar, wenn die Eheschließung unterblieb, um den Wegfall einer Witwenrente zu vermeiden. Eine entsprechende Anwendung kommt nach herrschender Meinung nicht in Betracht. In diesen Fällen muss der Mandant handeln, wenn er nicht an der Verfügung festhalten will. Möchte der Mandant dieses nicht, ist ausdrücklich auf die nicht eintretenden Folgen des § 2077 Abs. 1 S. 2 BGB hinzuweisen.
Fortgeltungswirkung
§ 2077 Abs. 3 BGB lässt trotz Vorliegens der Voraussetzungen des § 2077 Abs. 1 BGB die letztwillige Verfügung fortbestehen, wenn anzunehmen ist, dass der Erblasser sie auch für einen solchen Fall getroffen haben würde. Zur Feststellung eines solchen Willens ist zunächst auf den tatsächlichen Willen des Erblassers abzustellen. So ist eine letztwillige Verfügung zugunsten des Ehegatten wirksam, wenn die Ehe zum Zeitpunkt der Errichtung der letztwilligen Verfügung bereits zerrüttet war und der Erblasser den Ehegatten auch für den Fall der späteren Scheidung bedenken wollte. Kann der tatsächliche Wille nicht festgestellt werden, muss der hypothetische Wille festgestellt werden. Für den Zeitpunkt der Ermittlung des hypothetischen Erblasserwillens ist auf den Zeitpunkt der Testamentserrichtung abzustellen. Spätere Umstände können grundsätzlich für die Ermittlung des hypothetischen Willens herangezogen werden, wenn sie Rückschlüsse darauf zulassen, wie sich der Erblasser verhalten hätte, wenn er bei der Testierung die Auflösung der Ehe mitberücksichtigt hätte. Für die Praxis ist in diesem Zusammenhang der Fall der Aussöhnung und Wiederverheiratung von Bedeutung. Die Eheleute, die wieder zueinander gefunden haben, gehen in der Regel davon aus, dass die letztwillige Verfügung, sofern sie nicht ausdrücklich widerrufen wurde, auch nach Rechtskraft der Scheidung Bestand haben wird. Die herrschende Meinung vertritt den Standpunkt, dass die Aussöhnung der früheren Ehegatten als nach der Verfügung erfolgter Ausdruck des späteren Willens für die Ermittlung des hypothetischen Willens bei der Testierung außer Betracht bleiben muss, so dass allein auf Grund der Aussöhnung die Verfügung nicht nach § 2077 Abs. 3 BGB aufrechterhalten werden kann. Die Aussöhnung sei Ausdruck einer irrelevanten Willensänderung, die wegen der Formstrenge einer testamentarischen Verfügung nicht zu berücksichtigen sei. Nu...