Reform des familiengerichtlichen Verfahrens
Die Reform des familiengerichtlichen Verfahrens war das Thema des ersten Familienrechtlichen Forums Göttingen, das am 28. Juni 2008 an der Georg-August-Universität Göttingen stattgefunden hat. Die Tagung widmete sich den Entwürfen des mittlerweile in Kraft getretenen "Gesetzes zur Erleichterung familiengerichtlicher Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls" (KiWoMaG, BGBl I, S. 1188) und des "Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit" (FamFG-E). Die besondere Aktualität der Thematik wurde dadurch verstärkt, dass am Vorabend des Forums die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses zum FamFG-E durch den Bundestag angenommen wurde. Die Veranstalter, Prof. Dr. Eva Schumann (Organisation), Prof. Dr. Volker Lipp und Prof. Dr. Barbara Veit, schlossen mit dieser Tagung an das bewährte Konzept der Göttinger Workshops zum Familienrecht an, das eine intensive Diskussion familienrechtlicher Probleme unter Beteiligung von Experten aus Wissenschaft, Politik und Praxis ermöglicht.
Mit den etwa 100 Teilnehmern wurden am Vormittag zunächst die Grundlagen der Reform erörtert. Einen Überblick zum neuen Familienverfahrensrecht gab die Präsidentin des Landgerichts Tübingen, Dr. Röse Häußermann. Sie lobte den Gesetzgeber für den Mut, ein derartiges Großprojekt in Angriff genommen zu haben, und zeigte sich mit der derzeitigen Gesetzesvorlage weitgehend zufrieden. Kritik übte sie an einzelnen Regelungen, darunter § 154 FamFG-E, der ihrer Ansicht nach die Gefahr birgt, die Kindeswohlprüfung in die Zuständigkeit zu verlagern.
Diese Bedenken teilte auch Prof. Dr. Michael Coester in seinem anschließenden Vortrag zur Reform des Verfahrens in Kindschaftssachen. Ziel der Reform ist es, einerseits einvernehmliche Lösungen zwischen den Eltern (zum Wohl des Kindes) stärker als bisher zu fördern und andererseits dem Staat im Bereich der "möglichen Kindeswohlgefährdung" mit dem richterlichen Erörterungsgespräch gem. § 50f FGG (§ 157 FamFG-E) vorgezogene Interventionsmöglichkeiten zur Verfügung zu stellen. Coester wies nachdrücklich darauf hin, dass der Staat durch die neue Überprüfungspflicht nach § 1696 Abs. 3 BGB (§ 166 Abs. 3 FamFG-E) nicht zu einem "dritten Elternteil" werden dürfe. Insgesamt jedoch habe der Gesetzgeber mit dem Gesetzentwurf gezeigt, dass er die "Kraft zu großen Würfen" nicht verloren habe.
Den sozialpolitischen Hintergrund der Reform erläuterte Prof. Dr. Ilona Ostner in ihrem Vortrag über "Familienversagen und Familienpolitik". Sie bezeichnete die Kindeswohlgefährdung aus soziologischer Perspektive als ein "problematisches Problem": Die Berufung auf Kindeswohlgefährdungen wirke in der politischen Diskussion hochsuggestiv, man könne diese jedoch weder klar definieren noch verlässliche Daten über ihre tatsächliche Verbreitung ermitteln. Die gegenwärtige Diskussion um Kindeswohl und Kinderschutz ordnete Ostner in einen europäischen Trend der "Entfamilisierung" ein, der weite Teile der Bildung und Sozialisation von Kindern in öffentliche Institutionen verlagere.
Der Nachmittag stand im Zeichen der Diskussion einzelner Reformbereiche in zwei parallel stattfindenden Workshops, in deren Rahmen die zuständigen Referenten im Bundesministerium der Justiz, RegDir Heiko Wagner und RiAG Dirk Hornikel, jeweils in die Thematik einführten und sich dann den überwiegend kritischen Anmerkungen ihrer Co-Referenten und des Publikums stellten.
In dem von Prof. Dr. Uwe Diederichsen und Dr. Röse Häußermann geleiteten Workshop I – "Neue Elemente im familiengerichtlichen Verfahren" – wurden zwei Schwerpunkte herausgegriffen: einvernehmliche Konfliktlösungen/Vermittlungsverfahren sowie das neue Rechtsmittel- und Vollstreckungsrecht. RegDir Heiko Wagner betonte im Rahmen seiner einführenden Darstellung die Notwendigkeit des Einvernehmens für den Erfolg einer familiengerichtlichen Entscheidung, insbesondere für Umgangsregelungen. Insoweit sei die Aufnahme von konfliktvermeidenden Strategien in das FamFG als Erfolg zu betrachten. Gleiches gelte für die Möglichkeit, durch die Kostenregelung des § 81 Abs. 2 Nr. 5 FamFG-E Druck auf die Beteiligten auszuüben, an einem Gespräch über Beratungsmöglichkeiten nach § 156 Abs. 1 S. 2 FamFG-E teilzunehmen. Letzteres wurde allerdings von den beiden weiteren Referenten, der Berliner Rechtsanwältin und Notarin Ingeborg Rakete-Dombek und Joachim Maier, Richter am OLG Stuttgart, stark kritisiert. Rakete-Dombek bewertete die Vermittlungsmöglichkeiten zwar grundsätzlich positiv, wies jedoch darauf hin, dass sie nicht zu einer "verordneten Kooperation" oder gar einem "Zwang zur Beratung" potenziert werden dürften. Beide Referenten betonten, dass die Beteiligten auch ein Recht auf eine schnelle Entscheidung durch den Richter hätten. Maier gab darüber hinaus zu bedenken, dass die Verfahrenshoheit des Richters durch die außerhalb des Gerichts angesiedelten Vermittlungsmöglichkeiten eingeschränkt werde und schlug daher vor, die ...