BGB § 1601 § 1610
Leitsatz
Das unterhaltsberechtigte Kind verliert den Ausbildungsunterhaltsanspruch gegenüber seinen Eltern nicht schon dann, wenn es ihm aufgrund eines notenschwachen Schulabschlusses erst nach drei Jahren vorgeschalteter Berufsorientierungspraktika und ungelernter Aushilfstätigkeiten gelingt, einen Ausbildungsplatz zu erlangen.
BGH, Beschl. v. 3.7.2013 – XII ZB 220/12 (OLG Koblenz, AG Mayen)
1 Tatbestand:
[1] Die 1989 geborene Antragstellerin begehrt von ihrem Vater, dem Antragsgegner, Ausbildungsunterhalt für die Zeit ab September 2010.
[2] Die Antragstellerin lebte nach der Trennung ihrer Eltern im Jahr 1997 zunächst im Haushalt des Vaters in den Niederlanden, bevor sie 2003 zu ihrer Mutter nach Deutschland wechselte. Dort erwarb sie 2007 die mittlere Reife mit einem Notendurchschnitt von 3,6. Anschließend nahm sie eine eigene Wohnung und bestritt ihren Lebensunterhalt selbst, indem sie als ungelernte Kraft in verschiedene Beschäftigungsverhältnisse eintrat und Praktika zum Teil in der Erwartung leistete, auf diese Weise Zugang zu einem Ausbildungsplatz zu erlangen. Im August 2010 begann sie eine Ausbildung zur Fleischereifachverkäuferin. Ihre Mutter erzielt als geringfügig Beschäftigte Einkünfte von monatlich höchstens 400 EUR.
[3] Das Amtsgericht hat den Antragsgegner verpflichtet, an die Antragstellerin rückständigen Unterhalt für September 2010 bis Juli 2011 in Höhe von 2.923,42 EUR sowie laufenden Unterhalt ab August 2011 in Höhe von monatlich 218,82 EUR zu zahlen. Das Oberlandesgericht hat die Beschwerde des Antragsgegners zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich seine zugelassene Rechtsbeschwerde.
2 Gründe:
[4] Die Rechtsbeschwerde ist nicht begründet.
[5] I. Das OLG hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet: Das Ausbildungsunterhaltsverhältnis zwischen Eltern und Kindern sei von gegenseitiger Rücksichtnahme geprägt, weshalb das Kind seine Ausbildung mit Fleiß und Zielstrebigkeit durchzuführen habe. Gewisse Ausbildungsverzögerungen seien je nach den Umständen des Einzelfalls jedoch hinzunehmen. Trotz einer nicht unerheblichen Verzögerung bei der Ausbildung könne ein Unterhaltsanspruch dann noch fortbestehen, wenn in den Fällen der Erstausbildung der Unterhaltspflichtige durch die Zuerkennung des Unterhaltsanspruchs wirtschaftlich nicht übermäßig belastet werde, die Versagung des Unterhaltsanspruchs für das Kind jedoch gravierende Folgen für dessen Lebensstellung hätte und Verzögerungen in der Ausbildung jedenfalls auch auf vom Kind nicht zu vertretende Umstände zurückzuführen seien. Dies sei im vorliegenden Fall gegeben, da die Antragstellerin bei notenbedingt schlechten Chancen auf einen Ausbildungsplatz berechtigterweise mehrere Praktika absolviert habe mit dem Ziel, im Anschluss hieran bei den jeweiligen Unternehmen einen Ausbildungsplatz zu erlangen. Dabei sei zu berücksichtigen, dass der sehr mäßige Schulabschluss auch auf die von der Antragstellerin nicht zu vertretende familiäre Situation einschließlich des Aufenthaltswechsels von den Niederlanden nach Deutschland und dem damit verbundenen Wechsel des Schulsystems zurückzuführen sei. Der Antragsgegner habe auch noch drei Jahre nach Abschluss der allgemeinen Schulausbildung damit rechnen müssen, von der Antragstellerin auf Ausbildungsunterhalt in Anspruch genommen zu werden.
[6] Der Unterhaltsbedarf der Antragstellerin sei – dem AG folgend – nach den unterhaltsrechtlichen Leitlinien mit 670 EUR monatlich zu bemessen, wobei davon auszugehen sei, dass sie nicht mit einem Partner in häuslicher Gemeinschaft lebe. Nach Abzug des Kindergeldes und der Ausbildungsvergütung unter Berücksichtigung eines pauschalen ausbildungsbedingten Mehrbedarfs von monatlich 90 EUR verbleibe ein offener Bedarf von anfänglich 284 EUR, zwischen Februar 2011 und Juli 2011 250,57 EUR und seit August 2011 218,82 EUR monatlich. Dem Antragsgegner, der über ein Nettoeinkommen in Höhe von 1.782,50 EUR verfüge, verbleibe auch nach Abzug von pauschalen berufsbedingten Aufwendungen, Krankenversicherungsbeiträgen und Unterhaltsbeträgen noch ein Einkommen, welches deutlich über seinem angemessenen Selbstbehalt liege.
[7] Der Anspruch der Antragstellerin entfalle auch nicht deswegen, weil sie dem Antragsgegner seit geraumer Zeit den Kontakt verweigere. Allein ein solches Verhalten begründe eine Verwirkung des Unterhaltsanspruchs nach § 1611 BGB nicht. Insoweit könne nicht unberücksichtigt bleiben, dass auch der Antragsgegner es unterlassen habe, seinerseits (wieder) den Kontakt zur Antragstellerin zu suchen.
[8] Schließlich würde auch eine zwischen dem Antragsgegner und der Mutter der Antragstellerin getroffene Freistellungsvereinbarung, wonach jeder Elternteil für das bei ihm lebende Kind sorgen solle, den Unterhaltsanspruch nicht entfallen lassen.
[9] II. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Nachprüfung stand.
[10] 1. Zutreffend ist das OLG für das in 2010 eingeleitete Verfahren auf der Grundlage des Art. 5 Nr. 2 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständ...