Heureka! Ein zum Zeitpunkt der Bekanntgabe des Beschlusses noch gar nicht veröffentlichter Aufsatz von Gutdeutsch gibt dem BGH den wohl willkommenen Anlass, sich von seiner unbeliebten Rechtsprechung zum gleitenden Vermögenserwerb zumindest in großen Teilen zu verabschieden. Allerdings bleibt die Begründung – vorsichtig ausgedrückt – ebenso schlicht wie unzutreffend. Sie besteht aus einem einzigen Satz und einer Bezugnahme auf die vermeintlich "überzeugenden Berechnungen" von Gutdeutsch.
Zur Erinnerung: Von Anfang an hatte der BGH die Ansicht vertreten, das Absinken der Lebenserwartung im Rahmen eines Nießbrauchsrechts sei ähnlich zu behandeln wie eine geldwerte Zuwendung. Jedes Jahr, jeden Monat, jeden Tag etc. wird die Vermögensbelastung durch die abnehmende Nießbrauchsverpflichtung geringer. Sie unterliegt den gleichen Grundsätzen wie die privilegierte Zuwendung i.S.v. § 1374 Abs. 2 BGB. Ursprünglich wurde die Lösung vereinfacht dahingehend gesucht, dass der Nießbrauch im Anfangs- wie im Endvermögen "außen vor" gelassen wurde. Nach den vom OLG Bamberg im Anschluss an Jaeger geäußerten Bedenken wurde mit der Entscheidung aus dem Jahre 2007 die Theorie vom "gleitenden Vermögenserwerb" aufgestellt. Zwar hat dieses Urteil für viel Kritik gesorgt. Diese bezog sich aber nie grundsätzlich auf die rechnerischen Überlegungen als solche, die durchweg als zutreffend anerkannt wurden. Nur die Praktikabilität der Lösung wurde angezweifelt. Brauchbare Vorgaben, wie dieser gleitende Vermögenserwerb berechnet werden sollte, hatte der BGH der Praxis damals nicht an die Hand gegeben. Soweit ersichtlich, sind zu dem Problemkreis seither Entscheidungen nicht mehr veröffentlicht worden. Um nicht in endlose Streitigkeiten mit teuren finanzmathematischen Gutachten verwickelt zu werden, empfahl es sich, vorher eine vergleichsweise Lösung zu suchen. Schulz hatte in einem jüngst veröffentlichten Beitrag versucht, eine Lösungsformel anzubieten. Dies hat – abgesehen von dem Beitrag von Gutdeutsch – einen wahren literarischen Tsunami ausgelöst. In Heft 13 der FamRZ sind zu dem Thema alleine drei Beiträge von weiteren Autoren veröffentlicht worden, die die jetzige BGH-Entscheidung offenbar noch nicht kannten.
Der bloße Hinweis auf ein Berechnungsmodell von Gutdeutsch, welches von niemand anderem bisher ernsthaft vertreten wurde, stellt eine der Bedeutung der Frage ganz und gar nicht angemessene "Auseinandersetzung" mit diesen Literaturmeinungen durch das höchste deutsche Zivilgericht dar. Dies gilt erst recht, da die von Gutdeutsch aufgestellte These schlicht und ergreifend falsch ist. Sehr wohl weist die ursprünglich vom BGH vertretene vereinfachte Methode Differenzen zu der Methode des gleitenden Vermögenserwerbes auf.
Nachstehender einfacher Beispielfall soll dies verdeutlichen. Er geht allerdings nicht von einer Zuwendung durch Verkürzung der Lebenserwartung (Nießbrauch), sondern von einem Geldzufluss durch einen Erlassvertrag aus. Beide Zuwendungen sind wirtschaftlich indes gleich zu behandeln.
Beispielfall (Beträge der Lösungen gerundet):
Der Vater überträgt seinem Sohn ein Haus (Wert 100.000 EUR). Der VPI-Index beträgt zu diesem Zeitpunkt 70. Das Haus hat zum Endvermögenszeitpunkt einen Wert von 150.000 EUR. Der Index beträgt jetzt 100. Die Ehefrau verfügt über keinen Zugewinn.
Alternative 1:
Der Sohn muss nichts bezahlen. Er bekommt das Haus sofort geschenkt.
Alternative 2:
Der Sohn soll nur 50.000 EUR bezahlen. Die weiteren 50.000 EUR werden zinslos gestundet. Während der Ehe verzichtet der Vater durch eine weitere Schenkung auf die 50.000 EUR. Der Index beträgt zu diesem Zeitpunkt 80.
Alternative 3:
Wie Alternative 2: Jedoch werden die 50.000 EUR erst einen Tag vor der Rechtshängigkeit des Scheidungsantrages geschenkt.
Lösung Alternative 1:
Es ergibt sich ein bereinigtes Anfangsvermögen von 100.000 EUR x 100:70 = 142.857 EUR. Der Zugewinn beträgt damit 150.000 – 142.857 EUR = 7.143 EUR. Die Verpflichtung ist ½ hiervon = 3.571,50 EUR.
Lösung Alternative 2:
Die ersten 50.000 EUR sind mit dem Index 100:70, also 71.429 EUR im Anfangsvermögen einzustellen. Insoweit wurde das Haus ja zu ½ geschenkt. Die gestundeten 50.000 EUR werden mit dem Index 100:80 (Zeitpunkt des Erlasses), also 62.500 EUR berücksichtigt. Zusammen ergibt dies 133.929 EUR. Der Zugewinn beträgt 150.000 – 133.939 EUR = 16.071 EUR. Die Ausgleichsverpflichtung ist nunmehr 8.035,50 EUR.
Lösung Alternative 3:
Hier sind nur die 71.429 EUR sowie die 50.000 EUR einzustellen. Eine Indexierung der zweiten 50.000 EUR erübrigt sich im Hinblick auf die Nähe zum Endvermögensstichtag. Der Zugewinn beträgt 150.000 – 121.429 = 28.571 EUR. Die Zugewinnausgleichsverpflichtung beläuft sich auf 14.285,50 EUR.
Daraus ergeben sich folgende Konsequenzen:
▪ |
Sofern die Belastung mit dem Nießbrauchsrecht im Anfangs- und im Endvermögen "außen vor" bleibt, wird der zu Beginn bestehende höhere Wert in vollem Umfang indexiert und nicht nur der geringere Saldo.... |