Die neue Rechtsprechung des BGH sowie weitere Einzelfragen
A. Einführung
Für Familienrechtler war das Jahr 2017 geprägt durch die Rechtsprechung des BGH zum Wechselmodell: Neben der Entscheidung zum Kindesunterhalt vom 11.1.2017 stand die Entscheidung zum Kindschaftsrecht vom 1.2.2017 im Mittelpunkt des Interesses. Die nachstehenden Ausführungen befassen sich mit letzterer Entscheidung und sprechen darüber hinaus auch weitere Einzelfragen zum Wechselmodell an.
Zunächst zur Begrifflichkeit:
Das Wechselmodell, auch als paritätisches Betreuungsmodell oder als Doppelresidenzmodell bezeichnet, ist davon geprägt, dass das Kind in einem bestimmten Turnus zwischen den Haushalten der Elternteile hin und her pendelt und von ihnen in annähernd gleichem Umfang betreut wird. Eine Definition findet sich in einer Entscheidung des OLG Frankfurt vom 8.12.2016:
Zitat
"Wenn die Eltern ihr Kind in der Weise betreuen, dass es in etwa gleich langen Phasen abwechselnd jeweils bei dem einen und dem anderen Elternteil lebt (Wechselmodell), lässt sich ein Schwerpunkt der Betreuung nicht ermitteln."
Das Wechselmodell unterscheidet sich vom Residenzmodell und vom sog. Nestmodell.
Beim Residenzmodell befindet sich das Kind nach der Rechtsprechung des BGH in der Obhut desjenigen Elternteils, bei dem der Schwerpunkt der tatsächlichen Fürsorge und Betreuung liegt, der also die elementaren Lebensbedürfnisse des Kindes nach Pflege, Verköstigung, Kleidung, ordnender Gestaltung des Tagesablaufs und ständig abrufbereiter emotionaler Zuwendung vorrangig befriedigt oder sicherstellt.
Beim Nestmodell ziehen die Elternteile in einem bestimmten Turnus in "das Nest" der Kinder ein und betreuen sie dort. Letzteres hat den Vorteil, dass nicht die Kinder den "Stress" haben, in einem bestimmten Takt immer wieder "umziehen" zu müssen, sondern die Eltern – allerdings hat sich dieses Modell in der Praxis nur wenig durchgesetzt (vielleicht auch deshalb). Jedenfalls muss der gerade nicht betreuende Elternteil ja auch irgendwo wohnen und die Elternteile wollen dies möglicherweise nicht abwechselnd in derselben Wohnung. Unter diesen Umständen wäre beim Nestmodell neben dem "Nest" für jeden Elternteil eine weitere Wohnung vorzuhalten, sodass auch finanzielle Gründe eine Rolle spielen dürften.
B. Die Entwicklung im Kindschaftsrecht
I. Die bisherige Rechtslage
1. Keine paritätische Betreuung als verfassungsrechtlich gebotener Regelfall
Im Jahr 2015 hat sich das Bundesverfassungsgericht mit dem Wechselmodell befasst:
Sachverhalt: Der Beschwerdeführer (BF) ist Vater eines nichtehelich geborenen Kindes. Kurz nach der Geburt des Kindes erfolgte die Trennung der Eltern. Das Kind lebt im Haushalt der Mutter, die die elterliche Sorge allein ausübt. Anträge des BF zur elterlichen Sorge blieben erfolglos.
Der BF rügt mit seiner Verfassungsbeschwerde gegen die getroffene Umgangsregelung vor allem, dass die Gerichte ihm kein Wechselmodell eingeräumt haben, und beanstandet auch die derzeitige Gesetzeslage.
Nach Auffassung des BVerfG verstößt die geltende Gesetzeslage nicht gegen Art. 6 Abs. 2 GG.
Das Gericht hat die Frage nach der Rechtsgrundlage für die Anordnung eines Wechselmodells offengelassen. Klar ist jedoch, dass Maßstab einer Entscheidung immer die Grundrechtspositionen der Elternteile und des Kindes wie auch das Kindswohl sein müssen. Daraus folgt für die Gerichte, dass unter dem Aspekt des Kindswohls massive Kommunikationsstörungen gegen ein Wechselmodell sprechen können.
Das BVerfG führt in seiner Begründung u.a. aus:
Zitat
"… Weil das Elternrecht (gem. Art. 6 Abs. 2 GG) beiden Elternteilen zusteht, müssen Regeln den Eltern jeweils Rechte und Pflichten gegenüber dem Kind zuordnen, für den Fall, dass sie sich über die Ausübung ihrer Elternverantwortung nicht einigen können. Diese Regeln müssen sicherstellen, dass sich die Wahrnehmung des Elternrechts am Kindeswohl ausrichtet und bei der Ausübung der Elternverantwortung die Rechte des Kindes Beachtung finden."
Der Schutzbereich des Art. 6 Abs. 2 GG für alle Eltern bedeutet nicht, dass alle Mütter und Väter immer die gleichen Rechte im Verhältnis zu ihrem Kind erhalten müssen. Weil die gemeinsame Ausübung der Elternverantwortung nach einer Trennung eine tragfähige soziale Beziehung zwischen den Eltern voraussetzt und ein Mindestmaß an Übereinstimmung erfordert, obliegt dem Gesetzgeber die Zuordnung bestimmter Rechte und Pflichten auf die einzelnen Elternteile, wenn die Voraussetzungen für eine gemeinsame Ausübung der Elternverantwortung fehlen … Diesen Gestaltungsspielraum überschreitet der Gesetzgeber nicht dadurch, dass er die Anordnung paritätischer Betreuung nicht als Regelfall vorsieht. Dies folgt nicht aus Art. 6 Abs. 2 GG und der dazu bislang ergangenen Rechtsprechung des BVerfG …“
Hierbei gilt also: Je weniger Übereinstimmung zwischen den Eltern und je weniger soziale Be...