Jochem Schausten
Wenn ich dieses Editorial schreibe, leben wir seit einem halben Jahr mit Corona. Als die Regierungen den Lockdown verkündeten und wir uns mit den denkbaren Konsequenzen für unsere tägliche Arbeit auseinandersetzen mussten, vermute ich, waren die meisten von uns auf diese Krise nicht wirklich vorbereitet – in unserer Kanzlei waren wir es jedenfalls nicht. Oder hatten Sie bei Beginn der Krise unmittelbar die Möglichkeit, mobiles Arbeiten zu Hause oder Besprechungen via Video-Chat umzusetzen?
Das anschließende Telefonat mit unserem IT-Dienstleister ließ mich etwas verzweifelt zurück: Es gab wahnsinnig tolle Möglichkeiten, aber diese waren weder günstig noch schnell umzusetzen.
“It is not enough that we do our best; sometimes we must do what is required.“, ein Zitat von Winston Churchill: Es ist nicht genug, dass wir unser Bestes tun; manchmal müssen wir das tun, was erforderlich ist.
Mobiles Arbeiten im Homeoffice zu ermöglichen, stellte sich als wesentlich einfacher heraus, als man es zuvor gedacht hatte. Viele Anwaltsprogramme bieten dazu Möglichkeiten, die vor Corona einfach ungenutzt blieben. Den Zugriff von außen auf das Kanzleinetzwerk sicher zu organisieren, ließ sich mit entsprechenden Programmen kurzfristig organisieren, ohne standesrechtliche Vorgaben zu missachten.
Besprechungstermine mit der Mandantschaft online per Video-Konferenz zu führen, stellt sich als wesentlich einfacher heraus, als man es zuvor gedacht hat. Es gab auf dem Markt eine Vielzahl von Angeboten, das größte Problem bestand nicht darin, ein Programm zu finden – sondern zu überprüfen, ob es auch den standesrechtlichen Anforderungen an die Vertraulichkeit genügt, also insbesondere die Inhalte hinreichend verschlüsselt überträgt. Aber auch das war machbar – und wurde von den Mandanten nach meinen Erfahrungen auch gut angenommen.
Den internen Workflow innerhalb der Kanzlei so zu organisieren, dass im Homeoffice ein Arbeiten ohne Handakte möglich wird, dürfte die meisten von uns vor interessante Herausforderungen gestellt haben – wir zumindest haben diesbezüglich viel gelernt und wiederum Optionen innerhalb des Anwaltsprogramms entdeckt, die uns vorher so nicht bekannt waren.
Das besondere elektronische Anwaltspostfach dürfte nach meiner Einschätzung durch Corona einen erheblichen Nutzungszuwachs gewonnen haben. Seit Corona korrespondieren wir mit Kollegen fast ausschließlich über das beA – und erhalten viel häufiger als vor Corona die Korrespondenz per beA übersandt.
Insgesamt haben wir in den vergangenen Monaten viele kleine Schritte getan, um das zu tun, was erforderlich war, um den "Laden am Laufen" zu halten. Und ich weiß aus vielen Gesprächen mit Kolleginnen und Kollegen, dass diese genauso gehandelt haben. Nachdem dies gelungen ist, gilt es nach meiner Einschätzung nun, den Blick auf die Umsetzung des "Besten" zu richten: keine Drittprogramme mehr für den Zugriff auf das Kanzleinetzwerk, sondern die Einrichtung eines Virtual Private Network (VPN), die Anschaffung eines echten Video-Konferenz-Systems, die vollständige Digitalisierung der Akten, die fortlaufende Anpassung des internen Arbeitsablaufs an die neuen Gegebenheiten, etc.
"Never let a good crisis go to waste", hat Winston Churchill einmal gesagt: Lass niemals eine Krise ungenutzt verstreichen.
In diesem Sinne hat Corona der Anwaltschaft sicherlich eine Riesenchance geboten: Endlich in der digitalisierten Welt anzukommen. Und vielleicht wird sich die eine oder der andere von uns in Zukunft die Augen reiben, welche neuen Möglichkeiten zur Gestaltung unserer Arbeitszeit und zur Wahl unseres Arbeitsortes sich bieten, wenn wir die erforderlichen Dinge bestmöglich umsetzen.
Ich wünsche Ihnen bei der Umsetzung viel Erfolg – und: bleiben Sie gesund!
Autor: Jochem Schausten
Jochem Schausten, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Familienrecht, Krefeld
FF 10/2020, S. 381