Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1, 6 Abs. 1 GG, § 8 Abs. 1 Nr. 2 TSG
Leitsatz
§ 8 Abs. 1 Nr. 2 TSG ist mit Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 6 Abs. 1 GG nicht vereinbar, weil er einem verheirateten Transsexuellen, der sich geschlechtsändernden Operationen unterzogen hat, die Möglichkeit, die personenstandsrechtliche Anerkennung seiner neuen Geschlechtszugehörigkeit zu erhalten, nur einräumt, wenn seine Ehe zuvor geschieden wird.
BVerfG, Beschl. v. 27.5.2008 – 1 BvL 10/05 (AG Schöneberg)
Aus den Gründen
Anm. der Red.: Der Beschluss ist abgedruckt in FamRZ 2008, 1593 ff. = NJW 2008, 3117 = StAZ 2008, 312 ff.
2 Anmerkung
Der EuGHMR hatte sich bereits in seinen Unzulässigkeitsentscheidungen vom 28.11.2006 in den Verfahren Parry ./. Großbritannien und R. u. F. ./. Großbritannien mit den vom BVerfG aufgeworfenen Fragestellungen unter dem Blickwinkel der EMRK befasst. Nach den vom Gerichtshof zum Anspruch auf Achtung des Privat- und Familienlebens gem. Art. 8 EMRK und zum Recht auf Eheschließung nach Art. 12 EMRK entwickelten Maßstäben war § 8 Abs. 1 Nr. 2 TSG ebenfalls als konventionswidrig anzusehen, wenngleich der Schutz der Betroffenen nach der Entscheidung des BVerfG deutlich weiter reicht.
Die beschwerdeführenden Ehemänner in den Verfahren vor dem EuGHMR hatten sich einer geschlechtsumwandelnden Operation unterzogen und beantragten die personenstandsrechtliche Anerkennung als Frauen. Beide Paare wollten ungeachtet dessen weiter verheiratet zusammenleben. Nach dem "Gender Recognition Act 2004" wird Ehepartnern über die durchgeführte Geschlechtsumwandlung zunächst eine vorläufige Bescheinigung ausgestellt, welche – anders als eine Vorabentscheidung gem. § 9 Abs. 1 TSG – die Möglichkeit eröffnet, auf Antrag ohne weitere Voraussetzungen die Ehe aufheben (Recht von England und Wales) oder scheiden (schottisches Recht) zu lassen. Nach Auflösung der Ehe wird auf Antrag ein endgültiges Zertifikat über die Geschlechtsänderung erteilt, das eine Berichtigung des Geburtenbuchs ermöglicht. Die Betroffenen können daraufhin eine Zivile Partnerschaft nach dem "Civil Partnership Act 2004" eingehen. Die Beschwerdeführer rügten vor allem, dass ihnen eine Scheidung wegen des sie ereilenden Traumas und der entstehenden Kosten unzumutbar sei. Eine Zivile Partnerschaft unterscheide sich auch qualitativ von einer Ehe und gewähre zudem keinen der Ehe gleichwertigen Schutz im Hinblick auf vermögensrechtliche Ansprüche bei Beendigung der Partnerschaft.
Nach Auffassung des Gerichtshofs lag ein Eingriff in das Privat- und Familienleben gem. Art. 8 Abs. 1 EMRK vor, da die gesetzliche Regelung die Beschwerdeführer vor die Alternative stellte, entweder ihre Ehe oder die gewünschte Geschlechtsidentität zu opfern. Er sah ihn jedoch gem. Art. 8 Abs. 2 EMRK als verhältnismäßig an, weil die Beschwerdeführer die Beziehung zu ihrem Partner in jeder Hinsicht fortsetzen und ihr einen der Ehe vergleichbaren – wenn auch nicht identischen – Schutz durch Eingehung einer Zivilen Partnerschaft geben könnten. Die dadurch entstehenden Kosten würden die Option der Lebenspartnerschaft weder vereiteln noch erheblich erschweren. Der Gerichtshof ging indes nicht auf die vom BVerfG bei der Interessenabwägung als maßgeblich angesehene schwer zu lösende Konfliktlage der Betroffenen auf Grund des ihnen auferlegten Entscheidungszwangs ein.
Unter Anwendung dieser Maßstäbe erwies sich § 8 Abs. 1 Nr. 2 TSG als konventionswidrig, weil schon keine (zumutbare) Möglichkeit zur Herbeiführung einer Scheidung gem. §§ 1565 f. BGB besteht, um danach eine Eingetragene Lebenspartnerschaft einzugehen. Soweit Ehegatten ihre Ehe aufrechterhalten wollen, ist sie nicht gem. § 1565 Abs. 1 BGB gescheitert. Jedenfalls kann ihnen aber eine dreijährige Trennung zur Herbeiführung der unwiderlegbaren Vermutung des Scheiterns der Ehe gem. § 1566 Abs. 2 BGB nicht angesonnen werden, da der Grund für das Erfordernis der Ehelosigkeit in der gesetzgeberischen Absicht liegt, keine Ehen gleichgeschlechtlicher Paare zuzulassen, nicht aber mit dem Scheitern der Ehe in Zusammenhang steht.
Ein über Art. 8 EMRK hinausgehender Schutz der ehelichen Lebens- und Verantwortungsgemeinschaft ergibt sich nach den Entscheidungen des EuGHMR auch nicht aus dem Recht auf Eheschließung gem. Art. 12 EMRK, der der innerstaatlichen Rechtsordnung die weitere Ausgestaltung dieses Rechts vorbehält, ohne dass dabei sein Wesensgehalt angetastet werden darf. Art. 12 EMRK schützt danach das traditionelle Konzept der Ehe zwischen Mann und Frau. Zwar hat eine Reihe von Vertragsstaaten auch gleichgeschlechtlichen Partnern die Eheschließung ermöglicht; dies reflektiert nach Auffassung des Gerichtshofs allerdings nur ihr eigenes Verständnis von der Rolle der Ehe in ihren Gesellschaften, ist aber nicht Ausfluss einer Interpretation von Art. 12 EMRK. Die Rechtsfolgen einer Geschlechtsumwandlung während bestehender Ehe fallen deshalb in den innerstaatlichen Beurteilungsspielraum. Die Konventionsstaaten haben vor diesem Hintergrund auch keine Ausnahme fü...