Tagungsbericht über das Forum Unterhaltsrecht am 20.9.2010 in Berlin
Die Arbeitsgemeinschaft Familienrecht veranstaltete Ende September 2010 in Berlin das Forum Unterhaltsrecht. Die Veranstaltung fand sehr großen Zuspruch und zeigte mit 240 Teilnehmern, dass auch zweieinhalb Jahre nach der Unterhaltsrechtsreform in der familienrechtlichen Praxis erheblicher Diskussionsbedarf über die ursprünglich beabsichtigten und tatsächlich erreichten Folgen der Neuregelungen besteht: So zogen die Familienrechtler eine kritische und kontrovers diskutierte Zwischenbilanz mit dem Ergebnis, dass Defizite vorhanden sind, die es auszubessern gilt.
Aus dem geschäftsführenden Ausschuss der Arbeitsgemeinschaft Familienrecht begrüßten Rechtsanwältin und Notarin Ingeborg Rakete-Dombek (Vorsitzende) und Rechtsanwältin Eva Becker neben den zahlreich vertretenen Anwälten Richter aller Instanzen, wobei der XII. Zivilsenat des BGH nahezu vollständig anwesend war, sowie Ministerialbeamte aus dem Bundesjustizministerium und dem Bundesfamilienministerium, Professoren und Rechtspolitiker. Auch die Bundesministerin für Justiz, Frau Leutheusser-Schnarrenberger, nahm an der Veranstaltung teil und stellte sich auf dem Podium den kritischen Fragen der Praktiker.
Im Fokus der Veranstaltung lag die in der Praxis als äußerst problematisch angesehene Durchsetzung des Anspruchs auf Betreuungsunterhalt geschiedener Ehegatten – überwiegend immer noch die Ehefrauen – sowie die als lückenhaft bewertete Übergangsregelung für sog. Alt-Ehen und die heftig diskutierte Dreiteilung bei mehreren berechtigten Ehegatten. Ziel der Veranstaltung war die Formulierung klarer Kritikpunkte und konkreter Verbesserungsvorschläge gegenüber Gesetzgebung und Rechtsprechung.
Mit dem ersten Referat unter dem Titel "Familie, Ökonomie und Fürsorge" leuchtete Prof. Dr. Hans Bertram vom Institut für Sozialwissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin die historische Entwicklung der Frau in ihrer ursprünglich evolutionär bedingten, hergebrachten Rolle als Ehefrau und Mutter hin zur erwerbstätigen, alleinerziehenden Mutter aus. Er fragte daraufhin das Plenum unter Hinweis auf die schon Anfang des 20. Jahrhunderts aufkommende Diskussion – "Wie kriege ich Männer in das Fürsorgesystem?" – nach der heute eigentlich gewollten und gesuchten neuen Vaterrolle. Gegenwärtig sehe er jedenfalls insoweit eine Privilegierung der Männer, als diese regelmäßig nach einer Trennung zumeist keine tägliche Verantwortung für das Kind übernehmen müssen, zu Lasten derer, die das Kind betreuen.
Im Anschluss hieran stellte Prof. Dr. Dr. h.c. Gerd Brudermüller in seiner rechtsphilosophischen Betrachtung die Frage nach "Verantwortung und Vertrauen – Legitimation für Unterhalt?". Insbesondere mit Blick auf die Alt-Ehen sei die Übergangsvorschrift des § 36 EGZPO zu offen und zu unkonkret formuliert, und der Gesetzgeber habe es hier versäumt, einen hinreichenden Vertrauensschutz für das tradierte Lebensmodell zu schaffen. Er sehe nicht, dass die tatsächlichen sozialen Rahmenbedingungen denen, von der Reform vorausgesetzten entsprächen, zeigte die Diskrepanz zwischen der geforderten Eigenverantwortung der Ehegatten und der tatsächlich gegebenen ökonomischen Stellung des Berechtigten auf und formulierte schließlich seine Sorge, dass das Familienrecht aus der Balance gerate.
Nach einer kurzen Kaffeepause, die zahlreich bereits zu engagierten Diskussionen genutzt wurde, hinterfragte Beatrix Weber-Monecke, Richterin am BGH, "Die Folgen der Reform". Auf Grund des weggefallenen Altersphasenmodells sei drei Jahre nach Beanspruchung des Basisunterhalts die nun entscheidende Einzelfallprüfung anzustellen; eine Anspruchsverlängerung allein auf Grund des Kindesalters gebe es nicht. Hinsichtlich der Argumentation mit kindbezogenen Gründen mahnte sie zugleich, hier mit "Vernunft und Augenmaß" vorzutragen, insbesondere auch, weil mit der Reform die Anzahl der an ADHS erkrankten Kinder sprunghaft angestiegen sei. Im Hinblick auf eine mögliche Befristung des Unterhaltsanspruchs hob sie hervor, dass der XII. Zivilsenat des BGH § 1578b BGB als Ausnahmeregelung ansehe und drückte ihr Verständnis für diejenigen aus, die die Begründung der ehebedingten Nachteile als "Mutmaßungen nichtgelebten Lebens" bezeichneten.
In der anschließenden, von Rechtsanwalt Dr. Mathias Grandel moderierten Podiumsdiskussion unter Teilnahme von Rechtsanwältin Ulrike Börger, Vorsitzende des Ausschusses Familienrecht der BRAK, Rechtsanwalt und Notar Wolfgang Schwackenberg, Mitglied des Ausschusses Familienrecht des DAV, Rechtsanwältin und Notarin Jutta Wagner, Präsidentin des Deutschen Juristinnenbundes, wurden sodann die Kernprobleme und Ungereimtheiten der Unterhaltsreform in der Praxis herausgearbeitet. Als zentrale Ergebnisse der Diskussion lassen sich festhalten:
- Es ist eine Anpassung der Übergangsregelung des § 36 EGZPO für Alt-Ehen geboten, weil den Eheleuten, die jahrzehntelang auf die bestehende Rechtslage vertraut haben, nicht das plötzliche Überstülpe...