Die Entscheidung zeigt eindrucksvoll das Haftungsrisiko von Rechtsanwälten auf, die ein für den konkreten Fall maßgebliches Gesetz und die dazu ergangene Rechtsprechung nicht kennen, infolgedessen die Interessen ihrer Mandanten nur unzureichend wahrnehmen und ihnen hierdurch finanziellen Schaden zufügen.
Zum Sachverhalt: Der Kläger, dessen Einkommen sich im Jahr 2005 deutlich verringert hatte, beauftragte die beklagte Rechtsanwältin u.a. damit, den Wegfall des gegen ihn gerichteten titulierten Unterhaltsanspruchs seines damals noch minderjährigen einkommens- und vermögenslosen Sohnes zu betreiben. Vor der Entscheidung über die daraufhin von der Beklagten namens des Klägers erhobenen Abänderungsklage wurde der Sohn im Juli 2006 volljährig. Obwohl er unstreitig dauerhaft voll erwerbsgemindert war, unterließ es die Beklagte, den Klageantrag für den Unterhaltszeitraum ab August 2006 auch darauf zu stützen, dass dem Sohn ab Volljährigkeit nach §§ 41 ff. SGB XII ein Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung zustand. Auch beantragte sie weder Einstellung der Zwangsvollstreckung aus dem früher gegen den Kläger erwirkten Unterhaltstitel noch empfahl sie dem Kläger, ab August 2006 Unterhalt nur noch unter Vorbehalt zu leisten. Schon während der Minderjährigkeit des Sohnes hatte sie es verabsäumt, dessen vertretungsberechtigte Mutter unter Androhung einer Abänderungsklage auf Wegfall der Unterhaltspflicht des Klägers ab Eintritt der Volljährigkeit des Sohnes aufzufordern, mit Wirkung ab diesem Zeitpunkt für den Sohn Grundsicherungsleistungen zu beantragen. Durch Urteil des Familiengerichts vom 20.11.2006 wurde der Unterhaltsanspruch entsprechend dem Herabsetzungsantrag des Klägers auf monatlich 345 EUR festgesetzt. Der Sohn nahm seine gegen dieses Urteil eingelegte Berufung zurück, ohne dass der zweitinstanzliche Prozessbevollmächtigte des Klägers mit dem Ziel, den Wegfall des Unterhaltsanspruchs zu erwirken, Anschlussberufung auf Wegfall des Unterhaltsanspruchs eingelegt hatte. Ab 1.7.2007 bezog der Sohn Grundsicherungsrente, bei deren Berechnung die Unterhaltszahlungen des Klägers rentenmindernd als Einkommen angerechnet wurden. Erst ab 1.7.2009 entfiel diese Anrechnung mit der Folge, dass der Sohn Leistungen in einer Höhe erhielt, die sowohl seinen ursprünglich titulierten als auch den durch das Familiengericht herabgesetzten Unterhaltsanspruch überstiegen. Der Kläger zahlte den titulierten Unterhalt bis einschließlich August 2009, seit Volljährigkeit seines Sohnes immerhin 12.765 EUR.
Die außergewöhnlich gründliche Entscheidung des Oberlandesgerichts ist in der Hauptsache nicht zu beanstanden. Sie entspricht der Rechtslage zur Anwaltshaftung bei Schlechterfüllung des Anwaltsdienstvertrags sowie zu den vorgreiflichen Problemen, in welcher Weise sich die einem dauerhaft erwerbsunfähigen Volljährigen nach §§ 41 ff. SGB XII geleistete Grundsicherungsrente bzw. sein Anspruch darauf auf seinen Unterhaltsanspruch auswirkt und welche Folgen tatsächlich gezahlter Unterhalt für seinen Anspruch auf Grundsicherungsleistungen hat. Kurz zusammengefasst hat danach – abweichend vom Ehegattenunterhalt – im Verwandtenunterhalt in der Regel auch der im Übrigen einkommens- und vermögenslose Grundsicherungsberechtigte, der über einen Unterhaltsanspruch verfügt, Anspruch auf die ungekürzte Grundsicherungsrente, weil nach § 43 Abs. 2 S. 1 SGB XII für deren Berechnung Unterhaltsansprüche unberücksichtigt bleiben, wenn das jährliche Gesamteinkommen des Unterhaltspflichtigen i.S.v. § 16 SGB IV 100.000 EUR nicht erreicht.
Praxistipp: § 16 SGB IV verweist auf den Einkommensbegriff des § 2 Abs. 2 EStG. Maßgeblich für die Einkommensgrenze von 100.000 EUR ist bei abhängiger Beschäftigung des Unterhaltspflichtigen danach sein Bruttoeinkommen abzüglich ausschließlich seiner Werbungskosten, bei den übrigen Einkommensarten ist es sein Gewinn vor Steuern. Persönliche Steuern, Sozialversicherungsbeiträge, Aufwendungen für eine private Vorsorge für Alter, Krankheit und Pflegebedürftigkeit, ferner Unterhaltspflichten und sonstige steuer-, sozial- oder unterhaltsrechtlich berücksichtigungsfähige Absetzungsbeträge des Unterhaltspflichtigen beeinflussen den Umfang seines Einkommens i.S.v. § 43 Abs. 2 S. 1 SGB XII dagegen nicht. Je nach Konstellation können deshalb auch alles andere als luxuriöse Einkommensverhältnisse des Unterhaltspflichtigen den Grenzbetrag überschreiten und bewirken, dass seinen bedürftigen betagten Eltern ebenso wie seinen dauerhaft voll erwerbsgeminderten volljährigen Kindern kein Anspruch auf Grundsicherung zusteht. In der Regel erhalten diese dann Hilfe zum Lebensunterhalt nach §§ 27 ff. SGB XII mit der Folge, dass ihr Unterhaltsanspruch abweichend von demjenigen von Leistungsberechtigten der Grundsicherung – vgl. dazu § 94 Abs. 1 S. 3 Hs. 2 SGB XII – unter den Voraussetzungen des § 94 SGB XII vollständig oder teilweise auf den Träger der Sozialhilfe übergeht.
Wegen der Regelung des § 43 Abs. 2 S. 1 SG...