BGB § 1603 Abs. 2 S. 2
Leitsatz
1. Das Berufsorientierungsjahr ist als "allgemeine Schulausbildung" i.S.v. § 1603 Abs. 2 S. 2 BGB anzusehen.
2. Zur Verwirkung von Unterhalt eines in der allgemeinen Schulausbildung befindlichen Kindes.
3. Das unterhaltsberechtigte Kind kann entsprechend dem Rechtsgedanken des § 1607 Abs. 2 BGB allein den leistungsfähigen Elternteil in Anspruch nehmen; auf fiktives Einkommen des anderen Elternteils muss es sich nicht verweisen lassen.
(Leitsätze der Redaktion)
OLG Köln, Beschl. v. 23.4.2012 – 25 WF 64/12 (AG Leverkusen)
Aus den Gründen:
I. Die Antragstellerin ist die am x.3.1992 geborene, im Haushalt der Mutter lebende Tochter des Antragsgegners. Sie hat die Realschule im Schuljahr 2009/2010 ohne Abschluss verlassen und besucht seit dem 7.9.2011 das Städtische Berufskolleg für Technik, Hauswirtschaft und Sozialpädagogik in M.; dort leistet sie ein Berufsorientierungsjahr in der Fachrichtung Ernährung und Hauswirtschaft, Körperpflege, Soziales ab. Der Antragsgegner bezieht Renteneinkünfte in Höhe von jedenfalls 1.247,87 EUR. Die Mutter der Antragstellerin ist mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 20 Stunden beschäftigt und verdient brutto 723,05 EUR.
Die Antragstellerin beabsichtigt, den Antragsgegner auf Unterhalt für die Zeit des Berufsorientierungsjahres in Anspruch zu nehmen und begehrt hierfür Verfahrenskostenhilfe. Sie vertritt die Auffassung, sie befinde sich in der allgemeinen Schulausbildung im Sinne von § 1603 Abs. 2 S. 2 BGB. Der Selbstbehalt des Antragsgegners sei daher mit 770 EUR anzusetzen, weshalb er für den geforderten Unterhaltsbetrag (Mindestunterhalt) leistungsfähig sei.
Der Antragsgegner tritt dem insbesondere im Hinblick auf die Frage der allgemeinen Schulausbildung entgegen. Darüber hinaus meint er, ein eventuell bestehender Unterhaltsanspruch sei verwirkt. Jedenfalls aber sei die Kindesmutter gleichfalls zum Barunterhalt heranzuziehen.
Das AG – Familiengericht –, auf dessen Entscheidung wegen aller Einzelheiten Bezug genommen wird, hat der Antragstellerin die nachgesuchte Verfahrenskostenhilfe verweigert und zur Begründung ausgeführt, die Teilnahme am Berufsorientierungsjahr erfülle nicht die Anforderungen, die an den Begriff der allgemeinen Schulausbildung im Sinne des § 1603 Abs. 2 S. 2 BGB zu stellen sei.
Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Antragstellerin, der das AG – Familiengericht – mit Beschl. v. 8.3.2012 nicht abgeholfen hat.
Die Beteiligten hatten im Beschwerdeverfahren Gelegenheit zur Stellungnahme.
II. Die gemäß § 113 Abs. 1 S. 2 FamFG, §§ 127 Abs. 2 S. 2, 567 ff. ZPO an sich statthafte, rechtzeitig innerhalb der Frist des § 127 Abs. 3 S. 3 ZPO eingelegte und damit insgesamt zulässige sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Verfahrenskostenhilfe versagenden Beschluss des AG – Familiengericht – Leverkusen vom 7.2.2012 (31 F 384/11) hat auch in der Sache Erfolg. Das AG hat der Antragstellerin die begehrte Verfahrenskostenhilfe mit Erwägungen verweigert, die der Senat nicht zu teilen vermag.
1. Die unverheiratete, volljährige, im Haushalt ihrer Mutter lebende Antragstellerin befindet sich – im Gegensatz zur Rechtsmeinung des AG – noch in allgemeiner Schulausbildung i.S.v. § 1603 Abs. 2 S. 2 BGB.
Im rechtlichen Ausgangspunkt zutreffend geht das AG allerdings davon aus, dass der Begriff der "allgemeinen Schulausbildung" in § 1603 Abs. 2 S. 2 BGB in drei Richtungen einzugrenzen ist, nämlich nach dem Ausbildungsziel, der zeitlichen Beanspruchung des Schülers und der Organisationsstruktur der Schule. Ziel des Schulbesuchs muss der Erwerb eines allgemeinen Schulabschlusses als Zugangsvoraussetzung für die Aufnahme einer Berufsausbildung oder den Besuch einer Hochschule oder Fachschule sein. Diese Voraussetzung ist beim Besuch der Hauptschule, der Gesamtschule, der Realschule, des Gymnasiums und der Fachoberschule immer erfüllt. Anders zu beurteilen ist der Besuch einer Schule, die neben allgemeinen Ausbildungsinhalten bereits eine auf ein konkretes Berufsbild bezogene Ausbildung vermittelt. Auf die Rechtsform der Schule kommt es dagegen nicht an. Einer Schulausbildung steht es daher gleich, wenn ein Kind, ohne einen Beruf auszuüben, allgemeinbildenden Schulunterricht in Form von Privat- und Abendkursen erhält, der diesem Ziel dient, eine staatlich anerkannte allgemeine Schulabschlussprüfung abzulegen (BGH FamRZ 2001, 1068 – zitiert nach Juris; SenE v. 17.5.2002 – 25 UF 269/01 = FamRZ 2003, 179 [LS] – zitiert nach Juris; Wendl/Dose-Klinkhammer, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 8. Aufl. 2011, § 2 Rn 584). Entscheidendes Abgrenzungskriterium ist danach, ob die Ausbildung bereits auf eine bestimmte Berufstätigkeit vorbereitet, oder ob dem Absolventen nach Durchlaufen der Ausbildung und Erwerb des Abschlusses noch mehrere Berufsfelder offenstehen.
Gemessen hieran ist das von der Antragstellerin absolvierte Berufsorientierungsjahr als "allgemeine Schulausbildung" i.S.v. § 1603 Abs. 2 S. 2 BGB anzusprechen. Ausweislich einer Information des Sch...