Art. 4 Abs. 1 GG schützt die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses. Art. 4 Abs. 2 GG gewährleistet die ungestörte Religionsausübung. Letztlich handelt es sich hierbei um ein einheitliches Grundrecht, das "auch die Teilnahme an kultischen Handlungen und das Handeln nach dem Glauben umfasst". Geschützt wird die innere und äußere Freiheit in dem Sinn des Bildens und Habens sowie des Bekenntnisses und Verbreitens von religiösen Überzeugungen. Die Beschneidung als aktive Betätigung der Glaubensüberzeugung unterfällt damit der positiven Religionsfreiheit nach Art. 4 Abs. 1 und 2 GG. Diese Vorschriften bieten Schutz für die religiöse Erziehung der Kinder durch die Eltern. Die Glaubensfreiheit ist eine Ausprägung der Menschenwürde. Der Staat ist hierbei religiös-weltanschaulich neutral. Träger dieses Grundrechts ist jede natürliche Person, mithin jeder Elternteil und auch das Kind. Allerdings wird das Grundrecht des Kindes auf Glaubensfreiheit durch das Erziehungsrecht der Eltern nach Art. 6 Abs. 2 GG überlagert und ggfs. beschränkt. Sie üben grundsätzlich die Glaubensfreiheit des Kindes bis zu seiner Religionsmündigkeit aus. Auch wenn die Glaubensfreiheit unverletzlich ist, mithin keinen Gesetzesvorbehalt enthält, ist die Beschränkung der Glaubensfreiheit durch kollidierendes Verfassungsrecht selbst möglich. Zu den verfassungsimmanenten Schranken zählen die Grundrechte Dritter sowie Gemeinschaftswerte von Verfassungsrang. Die positive Glaubensfreiheit kann darüber hinaus die negative Glaubensfreiheit begrenzen und umgekehrt. Unabhängig hiervon erlaubt aber das Grundrecht des einen Trägers niemals den Eingriff in dasjenige des anderen Rechtsinhabers. Die Glaubensfreiheit ist lediglich auf die eigene Verantwortungssphäre bezogen und berechtigt nicht zur aktiven Beeinträchtigung der Rechtsgüter Dritter. Daher können sich die Eltern nicht auf Art. 4 GG berufen, wenn sie die religiös motivierte operative Entfernung von Körperteilen bei ihrem minderjährigen, nicht einsichts- und urteilsfähigen Sohn begehren. Diesen rechtlichen Standpunkt hat bereits das Bundesverfassungsgericht im Rahmen des Schwangerschaftsabbruchs im Einzelnen dargelegt. Niemand darf, wenn auch nur für eine begrenzte Zeit, der freien, rechtlich nicht gebundenen Entscheidung eines Dritten und sei es die Mutter selbst, überantwortet werden.
Zitat
"Deshalb muss die Rechtsordnung, die auch dem Kind sein eigenes Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit verleiht, fordern, dass die Eltern ihre religiöse Überzeugung hinter das Recht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit stellen".
Art. 4 GG als Rechtfertigungsgrund scheidet daher bei der Einwilligung der Eltern auf Beschneidung ihres minderjährigen, nicht einsichts- und urteilsfähigen Kindes aus.