Dem Entwurf eines Gesetzes über den Umfang der Personensorge ist zu entnehmen, dass bei der Schaffung eines neuen Beschneidungsgesetzes vier Rechtsgüter beachtet werden müssen, nämlich "die grundgesetzlich geschützten Rechtsgüter des Kindeswohls, die körperliche Unversehrtheit, die (verfassungsrechtlich garantierte) Religionsfreiheit und das Recht der Eltern auf Erziehung". Diese vier Rechtsgüter stehen untereinander in Kollision, wie Hassemer zutreffend ausgeführt hat:
Zitat
"Derjenige, der die körperliche Integrität gegenüber der religiös begründeten Tradition mit Gründen für untergewichtig hält, wird schon wegen dieses Ansatzes ebenso zu eigenen Ergebnissen kommen, wie derjenige, der das Kindeswohl als dem Erziehungsrecht der Eltern überlegen qualifizieren will".
Die Kollision dieser vier Rechtsgüter untereinander muss, um zu einem gerechten Ergebnis zu kommen, aufgelöst werden. Das kann nur über eine Gewichtung der jeweiligen Rechtsgüter nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit erfolgen. Die Grundrechte der Eltern aus Art. 4 Abs. 1 und 6 Abs. 2 GG stehen den Grundrechten des Kindes auf körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung gemäß Art. 2 Abs. 1 und 2 GG, hinsichtlich negativer Glaubensfreiheit aus Art. 4 GG sowie seiner Menschenwürde, Art. 1 GG gegenüber. Je nachdem, wie die im Einzelfall stattzufindende Gewichtung ausfällt, ändert sich das Ergebnis. Wer die körperliche Unversehrtheit hoch ansetzt, fordert, dass "sich der Staat als Inhaber des Gewaltmonopols schützend vor die körperliche Unversehrtheit seiner Bürger (hier die des Minderjährigen) stellt, d.h. vor allem, sie auch vor rechtswidrigen Eingriffen von Seiten anderer zu bewahren. Wer hingegen das Entscheidungsprimat der Eltern in ihrem Erziehungsrecht als hehres Ziel verfolgt, wird zwangsläufig bei der stattzufindenden Gewichtung der vier Rechtsgüter untereinander zu einem anderen Ergebnis kommen." Der demokratische Gesetzgeber, der im öffentlichen Willensbildungsprozess einen für alle zumutbaren Kompromiss zu suchen hat, ist daher verpflichtet, das normative Spannungsverhältnis zwischen diesen Verfassungsgütern nach den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit zu lösen. Hierbei sind auch noch die Forderungen der Religionsgemeinschaften wie die des Judentums und des Islams zu beachten, die gegen jegliche Beeinträchtigung ihres religiösen Lebens sind.
Dieser Spagat, der letztlich in einem Finden eines gebührenden Ausgleichs der vier Rechtsgüter untereinander steht, ergibt sich aber nicht in den Fällen, in denen das minderjährige Kind selbst einwilligungsfähig ist und sich gegen oder für eine Beschneidung selbst ausspricht. Ziegler spricht davon, dass "eine Einsichtsfähigkeit zumindest ab einem Alter von 14 Jahren bestehen kann, häufig aber auch schon früher". Letztlich sind Einsichts- und Urteilsfähigkeit anzunehmen, wenn das Kind nach Auffassungsgabe, Beurteilungsvermögen und Reifeentwicklung in der Lage ist, eine ärztliche Aufklärung entgegenzunehmen, zu verstehen und die Konsequenzen seiner Entscheidung zu erfassen. Die Meinungsbildungsfähigkeit des Kindes ist daher nicht an ein Mindestalter gebunden. Ebenso besteht keine Notwendigkeit zum Erteilen einer stellvertretenden Einwilligung des gesetzlichen Vertreters, wenn durch die Beschneidung auch unter Berücksichtigung ihres Zwecks das Kindeswohl nicht gefährdet wird. Auch fallen medizinisch indizierte Beschneidungen des männlichen Kindes nicht unter den Anwendungsbereich des § 1631d BGB. Sie sind vielmehr wie jeder andere medizinisch notwendige Eingriff auch vom elterlichen Sorgerecht umfasst.