Die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit[94] bzw. Verfassungswidrigkeit[95] ist in der Literatur heftig umstritten. Wegen möglicher verfassungsrechtlicher Fragen wollte der nicht angenommene Gruppenantrag von 66 Abgeordneten die Beschneidung als einen schweren und irreversiblen, schmerzhaften[96] und mit einem Sensibilitätsverlust verbundenen Eingriff von der Einwilligung des einsichts- und urteilsfähigen Sohnes, der das 14. Lebensjahr vollendet hat, abhängig machen.[97] Es bleibt abzuwarten, ob die Einwilligung in die Beschneidung aufgrund des Personensorgerechts der Eltern verfassungsrechtlich Bestand haben wird, zumal der Eingriff in die körperliche Unversehrtheit des männlichen Kindes dem Recht des Kindes auf gewaltfreie Erziehung (Art. 2 Abs. 2 GG, § 1631 Abs. 2 BGB) widerspricht.[98] Die sog. Wartelösung würde daher eher dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechen.[99] Denn dann hat das einsichts- und urteilsfähige Kind die Wahl und das Recht selbstständig darüber zu entscheiden, ob es die physische Beschneidung wirklich will.[100] Im Übrigen hätte das Bundesverfassungsgericht bei einer verfassungsrechtlichen Überprüfung des § 1631d BGB auch der Frage nachzugehen, ob Art. 3 Abs. 1, 3 GBG tangiert ist. Denn das Gesetz erlaubt in § 1631d BGB die Beschneidung von Jungen, verbietet hingegen die Beschneidung von Mädchen.[101] Schließlich müsste sich das Bundesverfassungsgericht auch mit dem Art. 24 Abs. 3 der UN-Konvention über Rechte des Kindes auseinandersetzen,[102] der folgenden Wortlaut hat:

Zitat

"Die Vertragsstaaten treffen alle wirksamen und geeigneten Maßnahmen, um überlieferte Bräuche, die für die Gesundheit der Kinder schädlich sind, abzuschaffen."

Darüber hinaus müsste auch eine Auseinandersetzung mit Art. 8 EMRK erfolgen.[103]

Hinzu muss noch die Erörterung der Grundsätze des ordre public nach Art. 6 EGBGB kommen,[104] wonach eine Rechtsnorm eines anderen Staates nicht anzuwenden ist, wenn ihre Anwendung zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist.

[94] Steinbach, NVwZ 2013, 550; Höfling, GesR 2013, 463; Büscher, DRiZ 2012, 330; Rixen, NJW 2013, 257; ders., ZfmE 2014, 33, 40 f.; Schwarz, JZ 2008, 1125; Zähle, ArchöP 2009, 434; Germann, MedR 2013, 412; Hörnle/Huster, JZ 2013, 328; Isensee, JZ 2013, 317; Brantl, ZmfE 2014, 45, 57 ff; Staudinger/Salgo, Neubearbeitung 2015, § 1631d BGB Rn 26.
[95] Sonnekus, JR 2015, 1, 2 und 14; Grams, GesR 2013, 332; Antomo, Jura 2013, 425; Czerner, ZKJ 2012, 374, 436; zweifelnd: Brosius-Gersdorf, in: Sachs, Grundgesetz, 7. Aufl. 2014, Art. 6 Rn 163; Peschel-Gutzeit, NJW 2013, 3617; dies., in: Familie – Recht – Ethik, FS für Gerd Brudermüller zum 65. Geburtstag, 2014, S. 517; Schild, in: FS für Gerd Brudermüller zum 65. Geburtstag, 2014, S. 653; Schumann, in: FS für Gerd Brudermüller zum 65. Geburtstag, 2014, S. 729; Mandla, FPR 2013, 244; Rosenthal, AnwBl. 2012, 964; Enders, in: Die Verfassung als Aufgabe von Wissenschaft, Praxis und Öffentlichkeit, Freundesgabe für Bernhard Schlink zum 70. Geburtstag, 2014, S. 291.; Sternberg-Lieben/Reichmann, NJW 2012, 257, 260; Scheinfeld, Die Knabenbeschneidung im Lichte des Grundgesetzes, S. 358 ff., in: Franz, Die Beschneidung von Jungen, 2014, S. 358 ff.; Rupprecht, Das Recht alles zu glauben – nicht aber alles zu tun, in: Franz, Die Beschneidung von Jungen, 2014, S. 421, 443.
[96] Die frühere Annahme, Neugeborene hätten höchstens ein unterentwickeltes Schmerzempfinden, ist überholt, Antomo, Jura 2013, 425; Ehrmann, DRiZ 2012, 331; Czerner, ZKJ 2012, 374, 378 Fn 38 m.w.N.; Hörnle/Hustler, JZ 2013, 328, 334; Hahn, MedR 2013, 215, 220; Grams, GesR 2013, 332, 334 Fn 26; Deusel, MEIN BUND, den ihr bewahren sollt, 2012, S. 84, 130, 136 f.
[97] BT-Drucks 17/11430, S. 2.
[98] Czerner, ZKJ 2012, 374, 379; Grams, GesR 2013, 332, 335.
[99] A.A. Staudinger/Salgo, Neubearbeitung 2015, § 1631d BGB Rn 22.
[100] Grams, GesR 2013, 332, 336.
[101] Grams, GesR 2013, 332, 336; Enders, in: Die Verfassung als Aufgabe von Wissenschaft, Praxis und Öffentlichkeit, Freundesgabe für Bernhard Schlink zum 70. Geburtstag, 2014, S. 291, 308.
[102] Grams, GesR 2013, 332, 337; vgl. hierzu auch Staudinger/Salgo, Neubearbeitung 2015, § 1531d BGB Rn 9 und 10.
[103] Staudinger/Salgo, Neubearbeitung 2015, § 1631d BGB Rn 11.
[104] Czerner, ZKJ 2012, 374, 383.

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