Bei den in § 159 Abs. 2 S. 1 FamFG genannten Fällen handelt es sich um einen abschließend geregelten Ausnahmekatalog. Lediglich in den dort genannten Beispielen kann von der persönlichen Anhörung bzw. von der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks abgesehen werden.
1. Schwerwiegender Grund
Von der persönlichen Anhörung bzw. der persönlichen Inaugenscheinnahme eines Kindes kann nach § 159 Abs. 1 Nr. 1 FamFG aus schwerwiegendem Grund abgesehen werden. Es handelt sich hierbei um eine sehr restriktive Ausnahme. Diese Vorschrift eröffnet kein freies Ermessen. Vielmehr hat der Richter bei Beantwortung der Frage, ob die persönliche Anhörung bzw. die persönliche Inaugenscheinnahme des Kindes unterbleiben kann, eine Interessenabwägung in dem Sinn vorzunehmen, dass er die Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts gemäß § 26 FamFG in Beziehung setzt zu den Kindesinteressen. Hierbei gilt der Grundsatz: "Je bedeutender der Eingriff in die Rechtssphäre ist, umso stärker ist die Pflicht zur Anhörung". In diesem Zusammenhang führt das OLG Frankfurt aus:
Zitat
"Das Gericht hat eine mögliche Belastung des Kindes, welche die Anhörung auslösen könnte, gegen die Vorteile abzuwägen, die diese Form der Sachaufklärung bietet. Sollten die Gesichtspunkte der Belastung überwiegen, kann von der Anhörung abgesehen werden".
Das ist insbesondere dann der Fall, wenn das Kind durch die Anhörung psychisch geschädigt werden könnte oder in sonstiger Weise eine Beeinträchtigung seines Gesundheitszustandes zu besorgen ist. Dies ist regelmäßig der Fall, wenn die Anhörung des Kindes zu einer erheblichen Beeinträchtigung seiner körperlichen oder seelischen Gesundheit führen könnte.
Nach Ansicht des OLG Bremen stellt die Einschätzung eines Sachverständigen, wonach mit der Durchführung der Kindesanhörung das Risiko einer Kindeswohlgefährdung verbunden wäre, einen das Absehen von der Kindesanhörung ausnahmsweise rechtfertigenden Grund i.S.d. § 159 Abs. 2 S. 1 Nr. 1b FamFG dar. Anders ist es hingegen, wenn der Verfahrensbeistand empfiehlt, im Interesse des Kindes auf die Anhörung zu verzichten, um dessen Loyalitätskonflikt nicht noch weiter zu verstärken und den Bindungsabbruch zu verfestigen.
2. Fehlende Kommunikationsfähigkeit des Kindes
Die Vorschrift des § 159 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 FamFG regelt die fehlende Äußerungsfähigkeit des Kindes. In Betracht kommen hier Säuglinge, Kleinstkinder und behinderte Kinder, die alters- oder entwicklungsbedingt nicht in der Lage sind, sich verbal zu äußern. Allerdings kann bei ihnen eine persönliche Inaugenscheinnahme in Betracht kommen.
3. Fehlende Relevanz bei Neigungen, Bindungen und Willen des Kindes
Wenn Neigungen, Bindungen und der Wille des Kindes für die Entscheidung nicht von Bedeutung sind, kann ebenfalls ausnahmsweise von der persönlichen Anhörung bzw. der persönlichen Inaugenscheinnahme gemäß § 159 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 FamFG abgesehen werden. Hierbei handelt es sich um sehr seltene Fälle. Hammer erwähnt in diesem Zusammenhang u.a. die Entscheidung über die Übertragung der Alleinsorge auf einen Elternteil, wenn das Kind den anderen Elternteil schon sehr lange nicht gesehen hat.