Um den verfassungsrechtlichen Anforderungen und der höchstrichterlichen Rechtsprechung des BGH gerecht zu werden, legen die Oberlandesgerichte und das Kammergericht in ihren Leitlinien (Ziff. 21.2 der einheitlichen Leitlinienstruktur) regelmäßig die Höhe des notwendigen Selbstbehalts fest. Dabei orientieren sie sich an dem Existenzminimum, das jedem Unterhaltspflichtigen selbst erhalten bleiben muss. Gegenwärtig beträgt der notwendige Selbstbehalt beim Nichterwerbstätigen 1.200 EUR und beim Erwerbstätigen 1.450 EUR. Zugleich wird darauf hingewiesen, dass in diesen Beträgen Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 520 EUR enthalten sind. Mit diesem Hinweis ist zugleich geklärt, dass im Einzelfall eine Erhöhung des Selbstbehalts in Frage kommen kann, wenn dieser Wohnkostenanteil – nach den Umständen nicht vermeidbar – überschritten wird. Das setzt aber nach der Rechtsprechung des BGH voraus, dass die Wohnkosten des Unterhaltspflichtigen selbst, nach Abzug der Wohnkosten ggf. mit ihm wohnender Kinder und eines Lebensgefährten, den im notwendigen Selbstbehalt enthaltenen Anteil übersteigen.
Nunmehr ist im Referentenentwurf eine gesetzliche Regelung dafür beabsichtigt, den notwendigen Selbstbehalt künftig im Abstand von zwei Jahren durch Rechtsverordnung festzusetzen und anzupassen. Zugleich soll durch einen Verweis auf das Wohngeldgesetz eine noch stärkere Berücksichtigung der regional erheblich unterschiedlichen Wohnkosten erreicht werden. Das scheint auf den ersten Blick sinnvoll. Gleichwohl bestehen gegen die vorgesehene Regelung aus verschiedenen Gründen erhebliche Bedenken.
Außergewöhnlich hohe Wohnkosten belasten den Beteiligten im Unterhaltsverfahren zwar stets sehr stark, weil sie sein für den Unterhalt verfügbares Einkommen erheblich einschränken. In diesem Zusammenhang stellt sich aber immer auch die Frage, ob der Beteiligte die hohen Wohnkosten zwingend zahlen muss oder ob er auch an anderer Stelle günstiger wohnen kann. Ein Umzug ist ihm nur dann nicht zumutbar, wenn dieses wegen der Nähe zu seinem Arbeitsplatz oder im Hinblick auf ein Zusammenleben in seiner Familie oder einer neuen Ehe unbillig wäre. Dann können die besonders hohen Wohnkosten nach der genannten Rechtsprechung des BGH aber auch schon jetzt berücksichtigt werden.
Ein weiteres Gegenargument ergibt sich aus dem Prinzip der Gewaltenteilung. Gegenwärtig wird das System der Unterhaltsbemessung durch die Judikative und damit höchstrichterlich durch den BGH vorgegeben, der natürlich dabei auch die familienrechtliche Literatur und die Instanzrechtsprechung im Familienrecht einschließlich der Leitlinien der Oberlandesgerichte in den Blick nimmt. Dabei ist die Rechtsprechung natürlich an verfassungsrechtliche Vorgaben und die gesetzlichen Regelungen gebunden. Wenn der Gesetzgeber nun hinsichtlich solcher Einzelaspekte für die Bemessung des Unterhalts eine Verordnungsermächtigung in das Gesetz übernehmen würde, würde er damit diesen Teilbereich der Judikative entziehen und der Exekutive übertragen, wofür es gegenwärtig keinen gewichtigen Grund gibt. Wenn der Gesetzgeber eine stärkere Berücksichtigung der Wohnkosten wünscht, kann er sich auch darauf beschränken, diesen Aspekt in die gesetzlichen Regelungen der §§ 1577, 1581, 1602 und 1603 BGB aufzunehmen. Für eine Verordnungsermächtigung besteht aus Sicht der familienrechtlichen Praxis auch kein Bedarf.
Autor: Hans-Joachim Dose, Rechtsanwalt und Vorsitzender Richter am BGH a.D., Nürnberg Dr. Daniela Rubenbauer, Rechtsanwältin und Fachanwältin für Familienrecht, Nürnberg
FF 11/2024, S. 426 - 434