Dr. Mathias Grandel
Welche Anforderungen an unsere Büroorganisation zur Vermeidung von Haftungsfällen bei Fristversäumnissen gestellt werden, bestimmt die Rechtsprechung zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Die Vielzahl der jährlich veröffentlichten Entscheidungen zu den §§ 233 ff. ZPO zeigt, wie bedeutend dieses Thema ist.
Nach wie vor ergehen jährlich viele Entscheidungen zu Fristversäumnissen bei Verwendung des Telefaxgerätes. Die Rechtsprechung zur Kontrolle des Sendeberichts ist uneinheitlich mit der Tendenz, sich zu verschärfen. Ein Teil der BGH-Senate verlangt bei der Erstermittlung der Fax-Nummer nur dann eine nochmalige Überprüfung, ob die richtige Nummer ausgewählt und auf den Schriftsatz übertragen wurde, wenn eine hohe Verwechslungsgefahr besteht. Das soll der Fall sein, wenn die Nummer aus einem Verzeichnis herausgesucht worden war, dagegen nicht, wenn sie dem letzten gerichtlichen Schreiben aus der Akte entnommen wurde. Daher müsse im letzteren Fall nur geprüft werden, ob die Nummer auf dem Sendebericht mit der auf dem Schriftsatz eingetragenen Nummer identisch sei. Andere BGH-Senate verlangen, dass sich bei der Erstermittlung der Fax-Nummer die Überprüfung des Sendeberichts nicht darauf beschränken darf, ob die Fax-Nummer auf dem Sendebericht mit der auf dem Schriftsatz eingetragenen Fax-Nummer übereinstimmt. Vielmehr müsse immer zusätzlich anhand der Akte überprüft werden, ob auch die richtige Fax-Nummer ausgewählt worden ist, um nicht nur Fehler bei der Eingabe, sondern auch Fehler bei der Ermittlung der Fax-Nummer oder ihrer Übertragung auf den Schriftsatz aufdecken zu können. Eine aktuelle Entscheidung des BGH (BGH NJW 2011, 312) fordert vom Anwalt wegen der uneinheitlichen Rechtsprechung künftig die Befolgung des "Gebots des sichersten Weges". Darauf muss sich die Büroorganisation einstellen.
Ein weiterer Schwerpunkt der Entscheidungen liegt auf der Problematik der Einzelanweisungen. Der Anwalt darf grundsätzlich darauf vertrauen, dass eine zuverlässige Büroangestellte eine konkrete Einzelweisung befolgt. Er ist im Allgemeinen auch nicht verpflichtet, sich anschließend über die Ausführung seiner Weisung zu vergewissern.
Der Sachvortrag im Wiedereinsetzungsverfahren, die zuverlässige Bürokraft habe z.B. die Einzelanweisung am letzten Tag der Frist, den Schriftsatz sofort zu faxen, vergessen, genügt jedoch für einen erfolgreichen Wiedereinsetzungsantrag bei Weitem nicht. Die Einzelweisung entlastet den Anwalt nicht von einer im Übrigen unzureichenden Büroorganisation. Im Wiedereinsetzungsantrag muss daher auch dazu vorgetragen werden, ob die Frist im Kalender eingetragen war und warum bei der abendlichen Ausgangskontrolle der ablaufenden Fristen nicht bemerkt wurde, dass der Schriftsatz entgegen der Weisung noch nicht übermittelt war.
Viele Wiedereinsetzungsanträge scheitern an ungenügendem Sachvortrag. Alle relevanten Umstände müssen nach der Rechtsprechung innerhalb der Frist zur Wiedereinsetzung vorgetragen werden. Nach Fristablauf ist nur noch eine Erläuterung oder Ergänzung des Vorbringens zulässig, nicht aber neuer Sachvortrag.
Auch den Anwalt treffen strenge eigene Überprüfungspflichten. Wird ihm die Akte zur Fristbearbeitung vorgelegt, muss er anhand der Erledigungsvermerke in der Akte prüfen, ob die Fristen zur Einlegung und Begründung des Rechtsmittels korrekt vermerkt sind. Selbst dann, wenn ihm die Akte aus anderen Gründen als dem der Fristbearbeitung vorgelegt wurde (z.B. weil Gerichtsakten eingegangen sind), muss er in angemessener Frist nach Aktenvorlage (ca. eine Woche) überprüfen, wie lange er sich mit der Fristbearbeitung noch Zeit lassen kann.
Es lohnt sich, nicht nur die aktuelle Rechtsprechung zum Familienrecht zu verfolgen, sondern auch die Entwicklungen in der Rechtsprechung zur Wiedereinsetzung im Auge zu behalten.
Dr. Mathias Grandel, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Familienrecht, Augsburg