Jeder Rechtsanwalt, der auf dem Gebiet des Familienrechts tätig ist, kennt das: Über Jahre hinweg wurden ein Elternteil und das Kind in Unterhaltssachen beraten und vertreten. Dann wird das "Kind" 18, und es stellt sich die Frage, ob die Tätigkeit wie bisher fortgesetzt werden kann oder ob entweder der Elternteil oder das Kind einen eigenen Anwalt beauftragen muss. Die Mandanten, mit denen diese Frage erörtert wird, reagieren häufig verunsichert oder sogar verärgert. Die Option, einen weiteren Anwalt zu beauftragen, wird als nicht wünschenswert oder sogar abstrus empfunden; manche Mandanten fragen auch, ob dies eine Maßnahme zur Arbeitsbeschaffung und Gewinnoptimierung für die Anwaltschaft sei. Das Thema ist sensibel, weil der Rechtsanwalt – egal, wie er sich entscheidet – Gefahr läuft, das Vertrauen der Mandanten zu verlieren. Die Mandanten ihrerseits fürchten zusätzliche (als unnötig empfundene) finanzielle Belastungen und/oder scheuen sich davor, noch eine weitere Person, den neuen Anwalt nämlich, in ihre intimsten Verhältnisse (und Streitigkeiten) einzubeziehen.
In der Praxis ist der Umgang mit der beschriebenen Situation höchst unterschiedlich. Während manche – darunter auch der eine oder andere Vorstand einer Rechtsanwaltskammer – glauben, die gleichzeitige Vertretung eines Elternteils und des volljährig gewordenen Kindes durch denselben Rechtsanwalt sei grundsätzlich unmöglich, sehen andere hier eigentlich keine Probleme, während wieder andere auf die weiteren konkreten Umstände des Einzelfalls abstellen wollen.
In einem aktuellen Beitrag zu dem Thema beleuchtet Hartung nur den Fall der Prozessstandschaft (§ 1629 Abs. 3 S. 1 BGB), also die Situation, dass die Ehe zunächst noch bestand, und der Elternteil, bei dem das Kind lebt und/oder der die Alleinsorge hat, die Unterhaltsansprüche des Kindes (gerichtlich) im eigenen Namen geltend gemacht hat. Werde in diesem Fall das Kind volljährig, sei der Anwalt zuvor im entgegengesetzten Interesse tätig gewesen und könne die Vertretung des Kindes überhaupt nur übernehmen, wenn der bislang vertretene Elternteil sein Einverständnis erkläre.
Die aufgezeigte Problemstellung berührt zwei wichtige Einzelfragen aus dem Tatbestand der Interessenkollision (§§ 356 Abs. 1 StGB, 43a Abs. 4 BRAO, § 3 Abs. 1 1. Alt. BORA), nämlich die Fragen, ob die für das Vorliegen eines Interessenwiderstreits maßgeblichen Interessen der Parteien objektiv oder subjektiv zu bestimmen sind und/oder ob ein mögliches Einverständnis der Parteien beachtlich ist.
Bevor auf diese Fragen näher eingegangen wird, ist es sinnvoll, zunächst einige der Fallkonstellationen zu beleuchten, die hier im Fokus stehen.