Interview mit Ministerialdirektorin Beate Kienemund, Abteilungsleiterin im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz vom 1.12.2015

Beate Kienemund

FF/Schnitzler: Sie sind im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz zuständig für das Bürgerliche Recht und damit für das gesamte Familienrecht.

Kienemund: Das ist zutreffend. Abteilung I (Bürgerliches Recht) betreut das gesamte materielle Familienrecht und thematisch eng angrenzende Gebiete wie das Erbrecht, das das Bürgerliche Gesetzbuch ja in einem eigenen Buch regelt. Das ist – wie Sie sich vorstellen können – ein umfangreiches Themenfeld mit ganz unterschiedlichen Problemkreisen, die von Fragen zur Eingehung und Auflösung von Ehe und Lebenspartnerschaft, deren wirtschaftlichen Folgen wie Unterhalt, Güterrecht und Versorgungsausgleich über das Vormundschaftsrecht, das Sorge- und Umgangsrecht für Kinder bis hin zum Betreuungsrecht reichen, wobei immer auch europarechtliche und zum Teil auch völkerrechtliche Bezüge zu beachten sind. Insoweit können wir es verschmerzen, dass die das materielle Recht gangbar machenden Verfahrensregelungen – das FamFG – nicht auch in unsere Abteilungszuständigkeit fallen; natürlich arbeiten wir aber mit der hier verantwortlichen Abteilung Rechtspflege eng zusammen.

FF/Schnitzler: Die Unterhaltsrechtsreform 2008 ist jetzt fast acht Jahre alt. Gibt es irgendwelche Planungen, Änderungen vorzunehmen?

Kienemund: Nach acht Jahren lässt sich feststellen, dass die Grundsatzentscheidungen der Reform von 2008, die ja vor allem auch die Eigenverantwortung der Ehegatten nach einer Scheidung stärken sollte, richtig waren. Dies zeigt auch die Entwicklung in der Rechtswirklichkeit, wo wir beobachten, dass nach der Geburt eines Kindes immer häufiger beide Elternteile – auch unterstützt durch das ausgebaute Angebot an Kinderbetreuungsmöglichkeiten – schnell wieder in den Arbeitsmarkt zurückstreben. Natürlich haben wir die Entwicklung nach Inkrafttreten der Reform sorgfältig beobachtet und tun dies auch weiter. Ergebnis war unter anderem die stärkere Betonung der Ehedauer in § 1578b BGB, wenn es um eine Herabsetzung oder Befristung des nachehelichen Unterhalts geht; dies haben wir noch in der letzten Legislaturperiode geregelt.

Inzwischen hat sich gezeigt, dass die in § 1612a BGB vorgesehene Anbindung des Mindestunterhalts für minderjährige Kinder an den steuerlichen Kinderfreibetrag nicht optimal war, weil steuerpolitische Überlegungen zu Ergebnissen geführt haben, die mit dem Unterhaltsrecht nicht stimmig sind. Mit dem Gesetz zur Änderung des Unterhaltsrechts und des Unterhaltsverfahrensrechts, das am 25. November 2015 verkündet worden ist (BGBl I 2015, 2018) und hinsichtlich des Mindestunterhalts am 1.1.2016 in Kraft treten soll, schaffen wir die Voraussetzungen dafür, dass der Mindestunterhalt durch Rechtsverordnung unabhängig von steuerrechtlichen Vorgaben und ausgerichtet unmittelbar am sächlichen Existenzminimum des Kindes festgesetzt werden kann.

Insgesamt sehen wir aber, dass die Praxis die Reform aus 2008 angenommen hat und dass die Rechtsprechung zu sachgerechten Ergebnissen gelangt.

Im Unterhaltsrecht stellen sich allerdings neue Fragen: So hat – wie Sie wissen – das Bundesverfassungsgericht im Februar entschieden, dass der Auskunftsanspruch des Scheinvaters gegen die Mutter auf Benennung des leiblichen Vaters wegen seiner Grundrechtsrelevanz nicht allein auf § 242 BGB gestützt werden darf, sondern einer gesetzlichen Grundlage bedarf. Außerdem – und das sprechen Sie mit Ihrer nächsten Frage an – wird immer häufiger die Frage gestellt, ob und wie unterhaltsrechtlich darauf reagiert werden kann, dass mehr und mehr Eltern sich nach einer Trennung oder Scheidung gemeinsam um ihre Kinder kümmern. Passt hier der alte Grundsatz "einer betreut, einer bezahlt" (§ 1606 BGB) noch? Kann die Rechtsprechung helfen oder müssen wir über Rechtsänderungen nachdenken?

FF/Schnitzler: In den letzten Monaten hat die Familienrechtler vor allem die Diskussion um das Wechselmodell beschäftigt. Hier gab es vor einigen Monaten ein Gespräch, an dem u.a. die Vorsitzende des Familiengerichtstages, Frau Dr. Götz, teilgenommen hat, aber auch unsere Vorsitzende des Geschäftsführenden Ausschusses der Arbeitsgemeinschaft Familienrecht, Frau Kollegin Becker aus Berlin. Ist da irgendetwas geplant oder wartet man den Familiengerichtstag ab?

Kienemund: Die Diskussion um das sogenannte Wechselmodell hat ja mehrere Dimensionen, die man im Interesse sachgerechter Ergebnisse auch getrennt betrachten sollte. Im Hinblick auf das Sorge- und Umgangsrecht wird die Forderung erhoben, dass die Gerichte ein Wechselmodell auch gegen den Willen eines – oder beider? – Elternteile sollen anordnen können. Die Gerichte sind hier bisher zurückhaltend und verlangen für ein gelingendes Wechselmodell ein Mindestmaß an Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit der Eltern. Auf den ersten Blick halte ich das für nachvollziehbar, wenn man die logistischen Leistungen betrachtet, die E...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge