Der Beitrag beruht auf einem Vortrag des Verfassers auf einer Veranstaltung der Arbeitsgemeinschaft Familienrecht des DAV auf dem 60. Deutschen Anwaltstag am 22.5.2009 in Braunschweig. Die Vortragsform ist beibehalten worden. Der Beitrag wurde zunächst abgedruckt in AnwBl 2009, 557 ff.
1. Das Bundesverfassungsgericht im Dialog mit der Gesetzgebung
Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat seit Gründung der Bundesrepublik die Rechtslage der Familie wesentlich mitgestaltet. Das gilt für den sozialrechtlichen, steuerrechtlichen und generell öffentlich-rechtlichen Kontext, in dem die Familie steht. Es gilt aber auch für Ehe und Familie als privatrechtliche Institute, deren Gestalt das Bundesverfassungsgericht in einer Art Dialog mit der Gesetzgebung, der Fachgerichtsbarkeit und der Wissenschaft in zentralen Punkten bestimmt hat. Auf den zuletzt genannten Aspekt, den Einfluss des Gerichts auf die zivilrechtlichen Strukturen der Familie, möchte ich meinen Vortrag beschränken.
Von Beginn an hat das Bundesverfassungsgericht bei der familienrechtlichen Normenbildung eine aktivere Rolle gespielt, als man sich vielleicht nach dem traditionellen Verständnis der Gewaltenteilung vorgestellt hätte. Durch Säumnisse des Gesetzgebers war das Gericht zur Mitwirkung an der eigentlichen Rechtsnormenbildung im Familienrecht geradezu gezwungen. Diese Funktion hat es auch später nicht mehr reduziert, sondern ausgebaut. Im Ergebnis kann gesagt werden: Das deutsche Familienrecht hätte sich ohne die Interventionen des Bundesverfassungsgerichts entweder anders entwickelt oder wäre nicht so schnell modernisiert worden.
Für das Verhältnis von Verfassungsrechtsprechung und Gesetzgebung im Familienrecht scheint mir das Bild des Dialogs besonders treffend. Man erinnere sich an die dramatischen Vorgänge im Sommer 2007, als der Gesetzgeber sich anschickte, das Unterhaltsrecht geschiedener Ehegatten und nicht miteinander verheirateter Eltern zu reformieren. In die Beratungen des Rechtsausschusses des Bundestages über einen in letzter Minute gefundenen Kompromiss in der Koalition platzte das Bekanntwerden einer schon Monate zuvor ergangenen, aber bislang nicht veröffentlichten Entscheidung des Verfassungsgerichts. Das hatte zur Folge, dass das mühsam Ausgehandelte mit einem Schlag obsolet war und ein völlig neuer Anlauf nötig wurde.
So dramatisch verlief der Dialog der genannten Institutionen gewöhnlich nicht. Oft schleppte er sich, wie wir sehen werden, auch über viele Jahre hin. Ungeachtet der unterschiedlichen Dynamik, mit der Parlament und Verfassungsgericht einander die Bälle zuspielten – je nach politischer Konstellation waren es Vorlagen oder Strafstöße –, ist das Ergebnis jedenfalls ein Familienrecht, an dessen sachlichen Lösungen das Verfassungsgericht keinen geringeren Anteil hat als der Gesetzgeber selbst.
Aufs Ganze gesehen hat das Bundesverfassungsgericht auf das Familienrecht hauptsächlich in dreifacher Weise Einfluss genommen:
- einmal als Impulsgeber für die Modernisierung dieses Rechtsgebiets;
- zweitens als Promotor von Gesetzesreformen, bei denen die Initialzündung zwar nicht vom Gericht ausgegangen war, denen es aber ein verfassungsrechtliches Fundament verschaffte;
- in einigen Fragen schließlich auch als Wahrer von Traditionen gegenüber modernisierenden Bestrebungen.
Die folgenden Betrachtungen werden sich vor allem mit der erstgenannten, der "Impulsfunktion" des Bundesverfassungsgerichts beschäftigen. Doch sollen die anderen Aspekte nicht ohne Beleg bleiben.
2. Eheverständnis und alternative Lebensgemeinschaften
Als Hüter von Traditionen fungiert das Gericht allerdings beim Ehebegriff, den es im Anschluss an kirchliche und staatliche Gesetzgebung der frühen Neuzeit strikt auf die amtlich registrierte Ehe einengt, näherhin auf die "bürgerliche", vor dem Standesbeamten geschlossene Ehe. Dem Grundgesetz liegt, so sagt das Gericht, das Bild der "verweltlichten" bürgerlich-rechtlichen Ehe zugrunde. Die Ehe ist ein öffentliches Rechtsverhältnis in dem Sinne, dass die Tatsache der Eheschließung für die Allgemeinheit erkennbar ist, die Eheschließung selbst unter amtlicher Mitwirkung erfolgt und der Bestand der Ehe amtlich registriert wird.
Das ist nicht selbstverständlich. Die Ehe ist historisch gesehen eine vorstaatliche Einrichtung. So manche Paarbeziehung, die nicht vor dem Standesamt eingegangen ist, kann durchaus einem materiellen Ehebegriff entsprechen, von den kirchlich, aber nicht standesamtlich geschlossenen Ehen ganz zu schweigen. Erst die Einengung des verfassungsrec...