Einen großen Platz in der Diskussion über Erwerbsbemühungen nimmt die Frage nach der Anzahl der vorzunehmenden Bewerbungen ein. Dabei kann man den Grundsatz aufstellen: Ohne eine gewisse Anzahl an Bewerbungen wird der Erwerbspflichtige seiner Darlegungslast nicht genügen, die Menge allein ist aber nicht entscheidend. Die Anzahl als solche hat keinen eigenen Wert, sondern ist immer abhängig entweder von der Qualität der Bewerbungen – also der Ernsthaftigkeit der Bemühungen – oder von der realen Erwerbschance. Wie bereits oben erwähnt, kann eine hohe Anzahl von Bewerbungsbemühungen eine Arbeitsmotivation vorspiegeln, die tatsächlich nicht besteht. Eine fehlende reale Erwerbschance wird nicht aufgrund einer zu geringen Anzahl von Bewerbungen plötzlich zu einer existierenden Erwerbschance.
Generell hat sich in der obergerichtlichen Rechtsprechung die Faustformel entwickelt, vom arbeitslosen Erwerbspflichtigen mindestens 20 Bewerbungen zu verlangen. Die Bandbreite reicht von 20 Bewerbungen pro Monat, mindestens 20 Bewerbungen pro Monat oder 20 bis 30 Bewerbungen pro Monat. Solche Entscheidungen findet man zwar überwiegend zur Obliegenheit des Unterhaltsschuldners im Kindesunterhalt gemäß § 1603 Abs. 2 BGB. Auf dieses Unterhaltsverhältnis sind sie aber nicht beschränkt.
Vielfach wird ein Umfang für die Bemühungen um eine neue Arbeitsstelle verlangt, der einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit entspricht oder ein Umfang, der erforderlich ist, alle in Betracht kommenden Stellen zu erfassen, sich zu bewerben und Vorstellungsgespräche wahrzunehmen. Das soll dann wiederum einer vollschichtigen Tätigkeit entsprechen. Entscheidungen dieses Inhalts sind sowohl zum Kindesunterhalt als auch zum Ehegattenunterhalt ergangen.
Eine Erklärung, warum vollschichtige Bewerbungsbemühungen gerade 20 oder auch mehr Bewerbungen zur Folge haben sollen, geben die Entscheidungen nicht. Wird von einem zeitlichen Aufwand für das Sichten von Stellenanzeigen, das Fertigen eines Bewerbungsschreibens, das Zusammenstellen der Bewerbungsmappe, etwaige Vorstellungsgespräche einschließlich Fahrtzeiten, und für die weiteren erforderlichen Eigenbemühungen (mündliche Vorstellung, Nachhaken bei Ablehnungen) von acht Stunden pro Bewerbung für angemessen erachtet, ergibt sich bei ca. 20 Arbeitstagen pro Monat eine Bewerbung pro Tag. Diese Rechtsprechung wurde allerdings entwickelt, als es noch kein Internet und keine elektronischen Bewerbungswege gab, die heute einen Teil der eben beschriebenen Tätigkeiten auf ein Minimum an zeitlichem Aufwand reduzieren. Das soll aber nicht bedeuten, dass die Anforderungen deshalb noch höher geschraubt werden sollten.
Differenzierter hat das OLG Köln 1997 die Auffassung vertreten, dass der erforderliche Aufwand, alle in Betracht kommenden Stellen zu erfassen, zu bewerben, Vorstellungsgespräche wahrzunehmen, einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit entsprechen könne, aber nicht müsse. Das OLG Karlsruhe spricht davon, dass 20 Bewerbungen nicht schematisch verlangt werden könnten.
Beim Erwerbstätigen sind die Anforderungen naturgemäß geringer. So erwartet das OLG Thüringen acht Bewerbungen pro Monat. Das OLG Brandenburg verlangt bei einer ungelernten und zeitweise erwerbstätigen Unterhaltsberechtigten mindestens zehn Bewerbungen.
In einer anderen Entscheidung beschränkt es sich ebenso wie das OLG Saarbrücken auf die Aussage, dass beim Erwerbstätigen weniger Bewerbungen als 20 bis 30 zu erwarten seien.
Wichtig ist, dass die Bewerbungsbemühungen zeitlich fortlaufend während des gesamten maßgeblichen Zeitraums erfolgen und keine zeitlichen Lücken in den Bemühungen bestehen. So genügen Bewerbungen allein aus dem Jahr 2009 für eine Erwerbspflicht nicht, die noch im Jahr 2011 andauert. Auch während eines Sorgerechtsstreits ist die Pflicht zur Arbeitssuche nicht aufgehoben oder reduziert.