Wenn zwischen den Eltern Differenzen bestehen, die die Belange des Kindes direkt berühren, und deshalb damit zu rechnen ist, dass die Eltern auch in Zukunft es nicht schaffen werden, Streitigkeiten betreffend das Kind ohne Mithilfe dritter Personen, wie zum Beispiel des Gerichtes oder des Jugendamtes, zu regeln, dann fehlt eine Basis für die Ausübung des gemeinsamen Sorgerechts. Dafür kann zum Beispiel ein Indiz sein, dass die Eltern schon in der Vergangenheit nicht in der Lage waren, das Umgangsrecht betreffend das Kind ohne Hilfe des Jugendamtes oder des Gerichts einvernehmlich zu regeln. Das kann zum Beispiel darin liegen, dass der Vater wiederholt das Kind verspätet abholt oder zurückbringt oder dass er das Hausrecht der Mutter missachtet. Das Kammergericht hat in der eben zitierten Entscheidung auch diskutiert, ob die Nichtzahlung von Unterhalt ein Indiz dafür sein kann, von einer gemeinsamen Sorge abzusehen. Als einzelnes Kriterium kann dies sicherlich nicht ausreichen, kann aber zur Verstärkung weiterer Gründe gegebenenfalls herangezogen werden. Im Rahmen des Sorgerechts kann ansonsten ein Verstoß gegen Unterhaltsverpflichtungen nur dann Bedeutung entfalten, wenn eine subjektive Begründung zumindest im Bereich des Sorgerechts liegt (zum Beispiel die Mutter versorge das Kind auch mit Unterhalt nicht ausreichend und verwende den Kindesunterhalt falsch oder aber es werde kein Kindesunterhalt gezahlt, weil zu wenig Umgang nach Auffassung des Vaters stattfinde). Beachtlich ist in diesem Zusammenhang, dass sich der Gesetzgeber klar dagegen entschieden hat, eine Mitsorge des Vaters von der Erfüllung einer Unterhaltsverpflichtung abhängig zu machen. Begründung dafür ist zutreffenderweise, dass das am Kindeswohl orientierte Sorgerechtsverfahren nicht mit den häufig komplexen Fragen einer Unterhaltsverpflichtung überfrachtet werden soll.
Die Auffassung, dass anhaltende und unüberbrückbare Differenzen zwischen den Eltern bestehen, und dass dies einer gemeinsamen elterlichen Sorge aus Kindeswohlgründen entgegensteht, ist auch ausdrücklich vom EGMR gebilligt worden. Der Gerichtshof war insoweit der Auffassung, dass die innerstaatlichen Gerichte die Begründung ihrer Beschlüsse auf Erwägungen gestützt haben, die auf eine Übertragung der elterlichen Sorge zum Wohl des Kindes gerichtet waren, und dass diese Gründe daher im Sinne von Artikel 8 Abs. 2 zutreffend und ausreichend waren.
Die bloße Befürchtung der Kindesmutter, sie könne in Zukunft in Fragen von grundsätzlicher Bedeutung anderer Auffassung sein als der Kindesvater, reicht indessen nicht aus. Ein Dissens der Eltern in einer Frage von grundsätzlicher Bedeutung ist nicht per se eine für das Kindeswohl schädliche Angelegenheit. Auch in intakten Beziehungen sind Eltern unterschiedlicher Auffassung darüber, was für ihr Kind am besten ist. Die Diskussion zwischen den Eltern fördert den Austausch von Argumenten und kann letztendlich bei einer gelungenen Kommunikation zwischen den Eltern dem Kindeswohl eher zuträglich sein. Die Eltern haben eine unterschiedliche Sichtweise auf ihr Kind, so dass sich bei Beachtung beider Sichtweisen ein eher objektives Bild der Auswirkungen einer Entscheidung auf das Kind ergibt.