Entscheidungsstichwort (Thema)
Sorgerecht des Vaters eines nichtehelichen Kindes nach der Entscheidung des BVerfG 1 BvR 420/09 vom 21.7.2010
Leitsatz (amtlich)
Einem Antrag des nichtehelichen Vaters auf Begründung der gemeinschaftlichen elterlichen Sorge ist stattzugeben, wenn die Übertragung dem Wohl des Kindes dient (§ 1672 Abs. 1 BGB). Auch bei einem funktionierenden Umgangsrecht widerspricht die Begründung der Mitsorge dem Kindeswohl, wenn eine am Kindeswohl orientierte gleichberechtigte Kommunikation und Kooperation zwischen den Eltern nicht möglich ist und die Mitsorge Streitigkeiten über Kindesbelange nur vermehren würde.
Normenkette
GG Art. 6 Abs. 2; BGB § 1626a Abs. 1 Nr. 1, § 1672 Abs. 1
Verfahrensgang
AG Wolfsburg (Beschluss vom 11.07.2011; Aktenzeichen 18 F 1319/10) |
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des AG Wolfsburg vom 11.7.2011 abgeändert.
Der Antrag des Antragstellers auf Bestimmung eines gemeinschaftlichen Sorgerechts mit der Kindesmutter für den gemeinsamen Sohn J. wird zurückgewiesen.
Die Gerichtskosten des Verfahrens fallen den Beteiligten Kindeseltern zu gleichen Teilen zur Last. Ihre außergerichtlichen Kosten tragen die beteiligten Kindeseltern selbst.
Gründe
I. Der Antragsteller erstrebt die gemeinschaftliche Sorgerechtsausübung mit der Kindesmutter für den aus ihrer Beziehung hervorgegangenen Sohn. Wegen des Sachverhalts wird zunächst auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung verwiesen.
Als sich die Kindeseltern getrennt haben, war J. ungefähr fünf Jahre alt.
Nach seinem Vorbringen in der Antragsschrift war es ursprünglich eines der Ziele des Antragstellers in diesem Verfahren, ein Wechselmodell, wonach J. jeweils eine Woche bei ihm und die folgende Woche bei der Kindesmutter verbringen sollte, zu erreichen.
Zur Zeit der Antragstellung fand ein großzügiger Umgang statt. J. verbrachte die Zeit von Freitag bis Dienstag beim Vater und in der darauf folgenden Woche dann die Zeit von Montag bis Dienstag.
Der Kindesvater hat sein Begehren u.a. damit begründet, dass er mit der Mutter "auf Augenhöhe" über die Belange des Kindes sprechen wolle. Außerdem sei es seine Absicht, auf die schulischen Belange J. s Einfluss zu nehmen, und er habe deshalb die Absicht, sich in den Elternbeirat wählen zu lassen. In diesem Zusammenhang räumt er ein, in der Vergangenheit - trotz entsprechender Vollmachten der Antragsgegnerin während der Grundschulzeit des Kindes - nicht mit der Schule oder der Klassenlehrerin Verbindung aufgenommen zu haben. Unstreitig kümmert er sich aber während der Umgangszeiten immer darum, dass J. genügend für die Schule tut, macht mit ihm Schularbeiten und übt mit ihm.
Daneben geht es ihm darum, in eventuellen medizinischen Notfällen, berechtigt zu sein, die erforderlichen Anweisungen oder Einwilligungen zu geben.
In der ersten Instanz war unstreitig, dass trotz des großzügigen Umgangsrechts zwischen den Kindeseltern eine Kommunikation, abgesehen von Besprechungen zur Organisation des Umgangs, praktisch nicht stattgefunden hat. Daraufhin ist - auf Anregung des AG - zunächst eine Erziehungsberatung durchgeführt worden, die das Ziel hatte, die Kommunikation zwischen den Eltern zu verbessern.
Dies hat nach Ansicht des Kindesvaters zu einem positiven Ergebnis geführt. Er hat die Ansicht vertreten, selbst wenn es künftig zu Kontroversen kommen sollte, entspräche dies der Normalität im Elternalltag.
Die Kindesmutter hat das Ergebnis der Erziehungsberatung nicht so positiv bewertet und befürchtet, der Antragsteller werde in alte Verhaltensmuster zurückfallen (er hat sie früher nicht einmal gegrüßt), wenn es erst zur Sorgerechtsübertragung gekommen sein sollte. Nach ihrer Darstellung hat es auch während der Erziehungsberatung keine Kommunikation, sondern nur Einzelgespräche und eine gemeinsame Schlussbesprechung gegeben. Dabei habe der Antragsteller erklärt, "er werde kämpfen bis in die letzte Instanz".
Neben Meinungsverschiedenheiten zum Wechselmodell, zu Hobbys und zur Freizeitgestaltung gab es zwischen den Kindeseltern zur Wahl der weiterführenden Schule für J. ursprünglich unterschiedliche Auffassungen (der Vater war für das Gymnasium, die Mutter für die IGS), letztlich hat aber der Vater dem Wechsel zur IGS zugestimmt.
Die Kindesmutter hat das auf die Absicht des Antragstellers zurückgeführt, während des laufenden Verfahrens keine Meinungsverschiedenheiten ausfechten zu wollen. Sie hat behauptet, tatsächlich relevante Fragen bespreche der Antragsteller aber nicht mit ihr, sondern mit J..
Trotz aller Differenzen halten sich beide Eltern gegenseitig für ausreichend erziehungsgeeignet.
Das Jugendamt der Stadt Wolfsburg hatte erstinstanzlich angesichts des relativ reibungslos verlaufenden Umgangs keine Notwendigkeit gesehen, an der Sorgerechtsituation etwas zu ändern.
Das AG hat es für gerechtfertigt gehalten, die gemeinsame Ausübung des Sorgerechts zumindest einmal zu probieren, da "die Entscheidung jederzeit wieder abgeändert werden" könne und derzeit nicht zu erwarten sei...