Die gesamte Neuregelung der Zuständigkeitsvorschriften zielt darauf ab, die räumliche Nähe zwischen dem Forum und dem Kind zu sichern. Insofern ist es konsequent, dass nach Art. 7 Brüssel-IIb-VO die Zuständigkeit in erster Linie den Gerichten des Mitgliedstaates zufällt, in welchem das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.
Die Ausnahmen von diesem Grundsatz basieren ebenfalls auf dem Gedanken des Kindeswohls, etwa bei rechtmäßigem Umzug (Art. 8 Brüssel-IIb-VO) oder im Fall der internationalen Kindesentführung (Art. 9 Brüssel-IIb-VO): Hier verbleibt es zunächst bei der Zuständigkeit des vor dem Ortswechsel zuständigen Gerichts, damit es nicht zu Verzögerungen in den bereits anhängigen Verfahren kommt und das bereits in die Sache eingearbeitete Gericht die Entscheidung trifft. Eine Zuständigkeitsübertragung durch das eigentlich zuständige Gericht, falls die außergewöhnlichen Umstände des Falls es erfordern, bleibt gem. Art. 12 Brüssel-IIb-VO möglich, wenn das Kind eine besondere Bindung zu einem anderen Mitgliedstaat hat, im konkreten Fall nach Einschätzung des eigentlich zuständigen Gerichts das andere Gericht aufgrund größerer örtlicher Nähe das Kindeswohl besser beurteilen kann und die Verweisung selbst keine nachteiligen Auswirkungen auf das Kindeswohl hat. Bei der hier vorzunehmenden Kindeswohlprüfung sind alle verfahrensrechtlichen Aspekte zu beachten, also insbesondere auch die Belastungen, die für das Kind durch die Verzögerung und die Notwendigkeit der Wiederholung von Anhörungen entstehen können. Dies entspricht der diesbezüglichen Rechtsprechung des EuGH zur Vorgängerversion der Norm in der Brüssel-IIa-VO.
In Art. 10 Brüssel-IIb-VO werden die Anforderungen an Gerichtsstandsvereinbarungen präzisiert: Diese sind nur dann möglich, wenn eine wesentliche Bindung des Kindes zu dem in der Vereinbarung gewählten Mitgliedstaat vorliegt und wenn die Wahrnehmung der Zuständigkeit durch das gewählte Gericht im Einklang mit dem Kindeswohl steht. Für die wesentliche Bindung des Kindes zu dem betreffenden Mitgliedstaat werden in Art. 10 Abs. 1a Brüssel-IIb-VO beispielhaft die Staatsangehörigkeit des Kindes, der gewöhnliche Aufenthalt der sorgeberechtigten Person oder – insoweit neu – der zuvor bestehende gewöhnliche Aufenthalt des Kindes genannt. Dies ermöglicht sinnvollerweise große Spielräume, das Verfahren tatsächlich vor dem im Einzelfall sachnächsten Gericht zu führen, wobei die Aufzählung dieser Regelbeispiele naturgemäß nicht abschließend ist. Das Kriterium der Kindeswohlkonformität der Zuständigkeitsvereinbarung wird dann relevant, wenn das Kind unnötig weit anreisen muss oder eine Anhörung nur mit Hilfe eines Dolmetschers möglich ist. Praktisch bedeutsam ist die neu eingeführte Möglichkeit, eine Gerichtsstandsvereinbarung auch für künftige Rechtsstreitigkeiten zu schließen. Eine so begründete Zuständigkeit ist jedoch, anders als eine während des Verfahrens vereinbarte, keine ausschließliche. Hierdurch soll die Möglichkeit erhalten bleiben, dass sich ein anderes als das qua Parteivereinbarung bestimmte Gericht, das zum Zeitpunkt seiner Anrufung im Hinblick auf das Kind sachnäher ist, nicht aufgrund der Vereinbarung für unzuständig erklären muss, sondern in der Sache entscheiden kann.
Art. 15 Brüssel-IIb-VO normiert die Eilzuständigkeit eines in der Hauptsache unzuständigen Gerichts und verweist hierfür – anders als unter der Brüssel-IIa-VO – nicht mehr auf das nationale Recht der Mitgliedstaaten, sondern regelt für den einstweiligen Rechtsschutz unionsrechtlich autonom, dass es für die Bejahung der Zuständigkeit im Eilfall ausreicht, wenn sich das Kind in dem betreffenden Staat aufhält oder sich sein Vermögen dort befindet. Dadurch wird verhindert, dass ein Mitgliedstaat in seinem nationalen Recht die internationale Eilzuständigkeit ausschließen kann, obwohl die Zuständigkeit der dortigen Gerichte besonders sachnah erscheint.
Der Schutz des Kindeswohls über die Absicherung der räumlichen und sachlichen Nähe zwischen dem zuständigen Gericht und dem Kind überzeugt, da hierdurch die verfahrensbedingten Belastungen für das Kind erheblich verringert werden. So kann das Kind etwa ohne aufwändige und grenzüberschreitende Anreise angehört werden und spricht in der Regel die Gerichtssprache. Dass nach Wegzug des Kindes in einen anderen Staat das bereits befasste Gericht zuständig bleibt und das Verfahren nicht von neuem beginnen muss, ist ebenfalls mit Blick auf das Kindeswohl zu begrüßen. So werden nicht nur Belastungen des Kindes durch erneut notwendige Anhörungen und die Verlängerung der konflikthaften Situation vermieden, sondern es wird auch verhindert, dass sich ein Elternteil, der vermutet, im Rechtsstreit zu unterliegen, gezielt mit dem Kind ins Ausland begibt, um eine neue Zuständigkeit und ein neues Verfahren zu erreichen. Sowohl mit einer Zuständigkeitsvereinbarung der Beteiligten als auch mit einer Zuständigkeitsübertragung der Gerichte stehen Möglichkeiten...