Jan-Christopher van EymerenSchriften zum Familien- und Erbrecht Band 10, 1. Aufl. 2014, 500 Seiten, 129 EUR; Nomos/Stämpfli/C.H. Beck Verlag
Das Thema der Unbilligkeit erscheint auf den ersten Blick ausgereizt, der familienrechtlichen Literatur fehlte aber bisher, wie es im Werbetext heißt, ein "ganzheitlicher Blick" auf die negativen Härteklauseln des Scheidungsfolgenrechts. Van Eymeren versucht, die Regeln zur Verwirkung von Zugewinn-, Versorgungsausgleich und nachehelichem Unterhalt "einheitlich" zu bestimmen, indem er dem Wesen und der Funktion billigen Rechts "nachspürt". Die 500-seitige Dissertation ist fundiert und bietet bei aller Informationsfülle dank des flüssigen Stils eine angenehme Lektüre.
Der Arbeit ist ein Allgemeiner Teil vorangestellt, der sich mit dem Begriff der Billigkeit in rechtsphilosophischer und rechtshistorischer Hinsicht befasst. Die Skizzierung der Entwicklung des Billigkeitsbegriffs über Platon und Aristoteles, die römisch-rechtliche Aequitas, die mittelalterliche Rezeption und die neuzeitliche Entwicklung (S. 27–40) ist durchaus informativ, aber nicht die Stärke des Buchs. Eine Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Konzeptionen der Billigkeit in der Begriffsgeschichte fehlt, die Kantische Lehre hätte zu ihrem tieferen Verständnis breiteren Raum verlangt und die selektive Auswahl philosophischer Positionen (auch Hegel wird nicht erwähnt) ist erläuterungsbedürftig. Trotzdem wird in einem gut nachvollziehbaren "Bogen" deutlich gemacht, wo die Wurzeln unseres heutigen Verständnisses von Billigkeit liegen. Das führt letztlich auch zu dem Grundthema der Arbeit, dass insbesondere die Sanktion widersprüchlichen Verhaltens in dem Gedanken der Verletzung des Gegenseitigkeitsprinzips Berücksichtigung findet, wobei die negativen Härteklauseln dafür sorgen, dass der Ausgleichsberechtigte seine Ansprüche nach Verletzung der (nach)ehelichen Solidarität nicht unter Berufung auf ebendiese Solidarität durchsetzen kann.
Bei der Behandlung der Legitimationsdefizite des nachehelichen Unterhalts auf wenigen Seiten (S. 341–345) ist eine die komplexen Problemfelder im Einzelnen reflektierende Darstellung nicht zu erwarten. Der Knappheit mag geschuldet sein, wenn der Verfasser einerseits die rechtsethische Fundierung des nachehelichen Unterhalts anhand des Nachteilsausgleichs kritisiert (S. 343), andererseits aber als "derzeit rechtsethisch legitimierbar" allein eine "Ausrichtung des Scheidungsunterhalts an der Kompensation von durch die Ehe bedingten Nachteilen" ansieht (S. 345). Die Differenz der Ansichten zur Legitimationsgrundlage bleibt unklar.
Im Besonderen Teil wird die Arbeit von Nutzen vor allem für Praktiker, denn hier werden die negativen Härteklauseln einzeln in ihrer Anwendungsbreite untersucht. Darüber hinaus unterzieht van Eymeren die Billigkeitsnormen einer kritischen Würdigung und äußert in seinen Stellungnahmen besonders zur unterhaltsrechtlichen Billigkeitsklausel mannigfaltigen Korrekturbedarf (der hier nicht im Einzelnen dargestellt und diskutiert werden kann): Den in der Rechtsprechung zu § 1579 Nr. 1 BGB angenommenen Zeitraum der kurzen Ehedauer von zwei bis drei Jahren hält er für zu kurz und schlägt eine Ausweitung auf bis zu fünf Jahren vor, da dies den "gesellschaftlichen Rahmenbedingungen" besser entsprechen würde. Zu § 1579 Nr. 2 BGB plädiert er – mit dem gegenwärtigen Trend – für eine "flexiblere Handhabung". Der Tatbestand des § 1579 Nr. 3 BGB sollte auch Straftaten umfassen, die sich gegen den neuen Lebensgefährten des Unterhaltspflichtigen richten. Die Auslegung des Tatbestandsmerkmals der Mutwilligkeit in § 1579 Nr. 4 BGB im Sinne "unterhaltsbezogener Leichtfertigkeit" lehnt er ab; das Tatbestandsmerkmal der Mutwilligkeit sollte gestrichen werden (ebenso § 1579 Nr. 5 und 6 BGB). Die Restriktion in § 1579 Nr. 7 BGB werde durch den "konturlosen" Auffangtatbestand des § 1579 Nr. 8 BGB konterkariert, vor allem aber seien neue Fallgruppen "ohne fachlichen Diskurs" einbezogen worden.
Van Eymeren kommt nach umfangreichen Analysen zu dem Ergebnis, dass die Unterscheidungen zwischen den negativen Härteklauseln weder in der rechtstechnischen Ausgestaltung noch in der praktischen Anwendung gerechtfertigt sind. Ob der Gesetzgeber die von ihm gewünschte Aufhebung der rechtstechnischen Differenzierung zwischen § 27 VersAusglG und § 1381 BGB als Generalklauseln einerseits und § 1579 BGB als negativer Härteklausel mit abschließend geregelten Härtegründen (S. 470) andererseits in absehbarer Zeit realisieren wird, erscheint angesichts des generalklauselartigen Auffangtatbestands in § 1579 Nr. 8 BGB allerdings zweifelhaft, zumal sich auch der praktische Nutzen der vorgeschlagenen gesetzlichen Änderung nicht ohne Weiteres erschließt.
Das Werk ist ein reichhaltiges Nachschlagewerk für Praktiker und gerade auch die rechtspolitischen Überlegungen machen es lesenswert, vor allem, wenn der Verfasser – zu Recht – moniert, dass Regelungen, die schon während bestehender Ehe auf eine wirtschaft...