Die Vorschrift sieht grobe Unbilligkeit vor. Was ist darunter zu verstehen?
Zunächst einmal ist die grobe Unbilligkeit positiv festzustellen.
Nachdem der Härtetatbestand festgestellt worden ist, muss die Billigkeitsprüfung erfolgen. Das Vorliegen eines Härtegrundes ermöglicht die Billigkeitsabwägung, ersetzt sie aber nicht. Sie ist aber ein Indiz für die grobe Unbilligkeit.
Zusätzlich zur Prüfung des Einzeltatbestandes ist daher immer eine Gesamtwürdigung notwendig. Hierbei ist zu prüfen, ob unter Berücksichtigung der Schwere des Härtegrundes im Einzelfall die Unterhaltsleistung noch als zumutbar erscheint. Dies gilt z.B. bei außergewöhnlich guten Einkommens- und Vermögensverhältnissen der Unterhaltsverpflichteten.
Auf der anderen Seite muss festgestellt werden: Es gibt keinen Vertrauenstatbestand durch langjährige Unterhaltszahlungen, auch dann, wenn eine Lebensgemeinschaft mit dem Lebensgefährten über einen längeren Zeitraum erfolgt ist.
Nach herrschender Meinung sind eine Gesamtwürdigung und eine Interessenabwägung vorzunehmen, die ausschließlich Angelegenheit des Tatrichters ist, der einen entsprechenden nicht revisiblen Beurteilungsspielraum hat. Die umfassende Interessenabwägung muss alle erforderlichen Tatsachen feststellen und gewichten.
Gesichtspunkte für die Billigkeitsprüfung sind:
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Alter der Beteiligten, |
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Dauer der Ehe (eine lange Ehedauer ist zugunsten des Berechtigten zu berücksichtigen, weil sich hieraus eine zunehmende Verflechtung der Lebensverhältnisse begründen lässt), |
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Dauer des Zusammenlebens neben der Ehedauer, |
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Kinderbetreuung die abgeschlossen ist, |
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Verflechtung im wirtschaftlichen Bereich |
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Wirtschaftliche Abhängigkeit des Unterhaltsbedürftigen vom anderen |
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Berufliche Ehenachteile, |
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Krankheiten, |
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Verhalten des Berechtigten, |
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Verfehlungen des Verpflichteten, |
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Höhe des beabsichtigten verlangten Unterhalts, |
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Wirtschaftliche Lage des Verpflichteten, |
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Wirtschaftliche Lage des Berechtigten. |
All das muss berücksichtigt werden und kann bei der Billigkeitsabwägung herangezogen werden.
Billigkeitsgesichtspunkte ergeben sich insbesondere aus dem Vergleich der Schwere des Solidaritätsverstoßes des Berechtigten mit seinen Auswirkungen auf den Verpflichteten und einer Abwägung der Gesamtumstände.
Unstreitig ist die Billigkeitsabwägung bei § 1579 BGB immer unter dem Gesichtspunkt der groben Unbilligkeit zu sehen. Dies ist anders als beim § 1578b BGB, der nur eine einfache Unbilligkeit vorsieht.
Schaut man sich die Entstehungsgeschichte des § 1579 BGB an, ist zunächst festzustellen, dass die Vorschrift mehrfach gravierend abgeändert wurde. So sah die Ursprungsfassung von 1977 keine Variationen der Rechtsfolgen vor, sondern den vollständigen Wegfall des nachehelichen Unterhalts, falls § 1579 BGB zur Anwendung kam. Verwirkung bedeutet ja im ursprünglichen Rechtssinn auch die totale Versagung des Unterhaltsanspruchs. Nach heutigem Verständnis ist Verwirkung auch dann möglich, wenn der Unterhaltanspruch teilweise wegfällt in Form der Beschränkung, Herabsetzung oder zeitlichen Befristung.
Diese Änderung der Rechtsfolgenregelung erfolgte aber erst mit dem Änderungsgesetz 1986. Im Jahr 2007 wurde das Gesetz dann noch einmal geändert, insbesondere auch im Hinblick auf den § 1579 Nr. 1 BGB und die neue Konstruktion eines Tatbestandes "verfestigte Lebensgemeinschaft" und Ausgliederung aus dem Auffangtatbestand der früheren Nr. 7.
Es wäre verfehlt anzunehmen, durch die jetzigen Gesetzesänderungen hätte sich die Auslegung der Vorschrift nicht geändert.
Während in dem ursprünglichen Text die Billigkeitsklausel des § 1579 BGB nur einige wenige konkrete Billigkeitsgründe vorsah (kurze Ehedauer, Verbrechen oder schweres vorsätzliches Vergehen des Unterhaltsberechtigten gegen den Unterhaltspflichtigen, mutwilliger Herbeiführung der Bedürftigkeit oder ein anderer ebenso schwerwiegender Grund), konnte nur in krassen Ausnahmefällen bei evidentem Fehlverhalten des (der) Unterhaltsberechtigten der Ausschluss vorgenommen werden.
Insofern muss der Ausnahmecharakter in der ursprünglichen Fassung immer wieder betont werden. Hierbei stand natürlich auch die Überlegung im Vordergrund, dass man ein Wiederaufleben des Schuldprinzips im Recht des nachehelichen Unterhalts unter allen Umständen vermeiden wollte. Dies muss man berücksichtigen, wenn man sich die heutige Auslegung des § 1579 BGB, was den Billigkeitsmaßstab anbelangt, klarmacht.
Ausgehend von der ursprünglichen Fassung sieht der Münchener Kommentar in der Billigkeit ein zusätzliches Tatbestandsmerkmal, das zu dem Härtegrund aus Nr. 1–8 hinzutreten muss, allerdings ist beim Münchener Kommentar unter grober Unbilligkeit zu verstehen, dass die volle oder teilweise Gewährung des nachehelichen Unterhalts dem Gerechtigkeitsempfinden in unerträglicher Weise widersprechen würde. Dies ist natürlich ein wesentlich verschärfter Gesichtspunkt.
Auch nach Wendl/Dose ist grobe Unbilligkeit zu bejahen, wenn nach den Verhältnissen des konkreten Einzelfalls die...