FF 3/2015, Das Wechselmodell zwischen § 1671 und § 1684 ... / a) Probleme in der Anwendung des Tatbestands von § 1687 Abs. 1

Dem Regelungssystem des § 1687 Abs. 1 S. 2–4 ist die Entscheidung der Eltern über den Kindesaufenthalt vorgelagert.^[22] Mit dieser Entscheidung geht die Festlegung des jeweiligen Betreuungsumfangs der Elternteile und damit letztlich die – als offen erscheinende – Wahl eines Sorgemodells einher. Gleichwohl wirft die Anwendung von § 1687 Abs. 1 S. 2 und 4 auf das Wechselmodell Probleme auf.

Insbesondere ist unklar, ob das Kind beim Wechselmodell überhaupt einen "gewöhnlichen Aufenthalt" i.S.d. § 1687 Abs. 1 S. 2 hat. Stellt man zur Bestimmung der Gewöhnlichkeit stärker auf die Regelmäßigkeit denn die Beständigkeit des Aufenthalts ab,^[23] so lässt sich beim Wechselmodell das Vorhandensein eines gewöhnlichen Aufenthalts bei jedem Elternteil und folglich ein doppelter gewöhnlicher Aufenthalt^[24] damit begründen, dass auch bei einem regelmäßigen Wechsel des Kindesaufenthalts dieser bei jedem Elternteil irgendwann zu einem "gewöhnlichen" wird. Einige wenden § 1687 Abs. 1 S. 2 daher auch auf Eltern im Wechselmodell an und plädieren für einen Wechsel der Alltagssorge mit dem Kindesaufenthalt.^[25]

Andere halten allein § 1687 Abs. 1 S. 4 für auf das Wechselmodell anwendbar.^[26] Der gerade Betreuende hätte somit bloß in Angelegenheiten der tatsächlichen Betreuung ein Alleinentscheidungsrecht. Da dieses als zu geringfügig zur Bewältigung längerer Kindesaufenthalte empfunden wird,^[27] sollen die Zuständigkeiten nach Abs. 1 S. 4 variabel sein und sich entsprechend den Erfordernissen der Aufenthaltsdauer erweitern.^[28] Teilweise wird diese flexible Handhabung des Abs. 1 S. 4 auch am Wortlaut festgemacht: Das Merkmal der "tatsächlichen Betreuung" spiegele den "tatsächlichen" Umfang der zwischen den Eltern vereinbarten Betreuung wider und weise entsprechend Alleinentscheidungsbefugnisse zu.^[29]

Beide Ansichten führen letztlich zu demselben Ergebnis: Der jeweils betreuende Elternteil entscheidet die in seinem Zeitraum anfallenden Angelegenheiten, während solche von besonderer Bedeutung oder zeitraumübergreifende von beiden zusammen nach Abs. 1 S. 1 zu entscheiden sind. Gegen die Annahme eines zweifachen gewöhnlichen Aufenthalts spricht zwar die Gefahr einer Konturlosigkeit des Begriffs des gewöhnlichen Aufenthalts,^[30] gegen eine flexible Auslegung von § 1687 Abs. 1 S. 4 die Regelungseinheit von Abs. 1 S. 2 und S. 4: Letzterer sieht gegenüber S. 2 abgestufte^[31] und vom Gesetzgeber bewusst geminderte Kompetenzen^[32] des umgangsberechtigten^[33] Elternteils vor. Beide Vorschläge dienen aber letztlich dem berechtigten Anliegen, § 1687 für alle im Vorfeld der Kindschaftsrechtsreform von 1998 entwickelten Sorgemodelle nutzbar zu machen.^[34]

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich das Wechselmodell durch Auslegung mit dem Tatbestand des § 1687 Abs. 1 vereinbaren lässt,^[35] so dass den Eltern auch in diesem Sorgemodell Alleinentscheidungsbefugnisse zugewiesen werden. Damit ist auch bereits der nächste Punkt – die Rechtsfolge des § 1687 Abs. 1 – angesprochen.

[22] Hammer (Fn 19), S. 50, 56; so auch NK-BGB/Peschel-Gutzeit, 3. Aufl. 2014, § 1687 Rn 4.

[23] Vgl. zu diesen Kriterien EuGH FamRZ 2011, 617, 619 Tz. 44.

[24] Für die Möglichkeit eines doppelten gewöhnlichen Aufenthalts BeckOK BGB/Veit (Fn 20), § 1687 Rn 4.1: in Abhängigkeit von Dauer und Regelmäßigkeit des jeweiligen Aufenthalts; BeckOK FamFG/Burschel, (Sept. 2014) § 2 Rn 4; BeckOK FamFG/Bohnert, (Juli 2013) § 313 Rn 33; s. darüber hinaus die nachfolgende Fn; dagegen MüKo-BGB/Sonnenberger, 5. Aufl. 2010, Einl. IPR Rn 724 m.w.N.; BeckOK FamFG/Nickel, (Sept. 2014) § 122 Rn 7.

[25] OLG Schleswig SchlHA 2014, 456, 457; Staudinger/Salgo, (2014) § 1687 Rn 15; Staudinger/Coester, (2009) § 1671 Rn 145, 261; Schwab/Motzer, Handbuch des Scheidungsrechts, 7. Aufl. 2013, III Rn 41; MüKo-BGB/Hennemann (Fn 10), § 1687 Rn 1; Prütting/Wegen/Weinreich/Ziegler, 9. Aufl. 2014, § 1687 Rn 5; Schilling, NJW 2007, 3233, 3236 f. (ggf. analog); Jokisch, FuR 2013, 679, 680 (ebenfalls analog); Gottschalk, ZKJ 2013, 35; dies., FamFR 2012, 286; Finke, NZFam 2014, 865, 867 (entspr. Anwendung); Weinreich/Klein/Ziegler (Fn 20), § 1687 Rn 5; offengelassen von Palandt/Götz (Fn 20), § 1687 Rn 2; Schnitzler/Lang (Fn 20), § 13 Rn 161; krit. gegenüber einem Wechseln der Alltagssorge "analog Abs. 1 S. 2" BeckOK BGB/Veit (Fn 20), § 1687 Rn 4.2; ebenso Kaiser, FPR 2008, 143, 145: "unpraktikabel"; Sünderhauf (Fn 3), S. 82 f.

[26] So Kaiser, FPR 2008, 143, 145; Bergmann, ZKJ 2013, 489; Frauenknecht, NJW-Spezial 2014, 68.

[27] Staudinger/Salgo, (2014) § 1687 Rn 15.

[28] OLG Zweibrücken FamRZ 2001, 639, 641 (zu §§ 1687a, 1687 Abs. 1 S. 4); Johannsen/Henrich/Jaeger, 6. Aufl. 2015, § 1687 Rn 8 a.E.; Schnitzler/Lang (Fn 20), § 13 Rn 160 Fn 267; Palandt/Diederichsen, 58. Aufl. 1999, § 1687 Rn 6.

[29] So Hammer (Fn 19), S. 52 f., 56; ders., FamRZ 2005, 1209, 1211 m. Fn 31; vgl. auch Palandt/Diederichsen (Fn 27), § 1687 Rn 6: § 1687 nähere sich in Abs. 1 S. 4 dem Wechselmodell an.

[30] Johannsen/Henrich/Jaeger (Fn 27), § 1687 Rn ...