I. Einleitung
Der folgende Beitrag soll etwas mehr Licht in die noch immer offene Fragestellung bringen, ob das Familiengericht gemäß § 1671 Abs. 1 oder § 1684 Abs. 3 BGB gegen den Willen mindestens eines Elternteils ein Wechselmodell begründen kann (unter III.). Zugrunde gelegt wird das paritätische Wechselmodell mit annähernd gleich langen Aufenthaltsperioden des Kindes bei beiden Elternteilen, weil in erster Linie dieses Probleme bei der Einordnung ins gesetzliche System von Sorge und Umgang bereitet. Sollten auch Verteilungen der Betreuung ab ca. 30 zu 70 Prozent zu Recht die Bezeichnung Wechselmodell beanspruchen, so ließe sich u.U. eine vom Grundsatz der §§ 1606 Abs. 3 S. 2, 1612 Abs. 1 S. 1 abweichende Verteilung der Unterhaltspflicht diskutieren, was jedoch nicht Gegenstand nachstehender Erörterungen – möglicherweise aber Motiv des weiten Wechselmodellbegriffs? – ist. Um die familiengerichtlichen Anordnungsmöglichkeiten adäquat beurteilen zu können, ist zunächst der Frage der Vereinbarkeit des Wechselmodells mit der gesetzlichen Systematik des Kindschaftsrechts nachzugehen (unter II.). Abschließend soll kurz die Erforderlichkeit gesetzgeberischen Tätigwerdens in den Blick genommen werden (unter IV.).
II. Das Wechselmodell – ein Fremdkörper im Kindschaftsrecht?
1. Rückblick
Die am 3. November 1982 vom BVerfG ausgesprochene Nichtigerklärung von § 1671 Abs. 4 S. 1 i.d.F. des SorgeRG, demzufolge die elterliche Sorge bei Scheidung einem Elternteil allein zuzuweisen war, kam einem Paukenschlag in der Diskussion um ein gemeinsames Sorgerecht nach Trennung und Scheidung der Eltern gleich. Die gemeinsame elterliche Sorge war plötzlich möglich, doch blieb unklar, welche Ausgestaltungen sie erfahren könne, um für die getrenntlebenden Eltern handhabbar und dem Kindeswohl förderlich zu sein. Die juristische wie psychologische Fachliteratur arbeitete – den Blick auch auf andere Rechtsordnungen gerichtet – verschiedene Sorgemodelle heraus, darunter neben dem Residenzmodell auch das sogenannte Wechselmodell, das durch einen ständigen Aufenthaltswechsel des Kindes zwischen dem mütterlichen und dem väterlichen Haushalt geprägt ist. Dem Urteil des BVerfG selbst lagen zwei Fallgestaltungen zugrunde, in denen Eltern, die nach ihrer Scheidung ein Wechselmodell bzw. Nestmodell praktizierten, die rechtliche gemeinsame Sorge begehrten; Letzteres wird teilweise als Wechselmodell im weiteren Sinne verstanden, ihm kommt jedoch kaum praktische Relevanz zu.
Obwohl das Wechselmodell inzwischen seit geraumer Zeit praktiziert wird, schon seit Langem die Gerichte beschäftigt und gar die Tagespresse auf sich aufmerksam machte, wird behauptet, das Wechselmodell sei in Deutschland erst in den vergangenen Jahren als Betreuungsalternative aufgetaucht und werde unabhängig von Gesetz und Recht praktiziert, habe doch der Gesetzgeber über das Wechselmodell gar nicht nachgedacht. Die daraus vermeintlich resultierenden planwidrigen Regelungslücken im Gesetz sollen durch Analogien geschlossen werden, die den Weg insbesondere für eine gerichtliche Anordnung des Wechselmodells ebnen sollen. Zieht man jedoch die Gesetzesmaterialien zum KindRG zu Rate, so wird deutlich, dass der Gesetzgeber durchaus Kenntnis vom Wechselmodell hatte; so stellt er es im Rahmen der Betrachtung rechtstatsächlicher Ausgangsdaten dem Residenz- oder Eingliederungsmodell gegenüber und nimmt US-amerikanische Studien zur gemeinsamen Sorge in Bezug, die sich auch mit dem Wechselmodell beschäftigten. In den Begründungen der Vorschriften ist dann nur noch die Rede von "gemeinsamer elterlicher Sorge", die nicht konkret definiert wird, freilich aber eine gewisse Ausgestaltung durch § 1687 erfahren hat.
Eine Unkenntnis vom Wechselmodell kann dem Gesetzgeber somit schwerlich unterstellt werden. Dagegen dürfte der Einwand, der Gesetzgeber habe dieses Sorgemodell für praktisch nicht relevant gehalten, schon eher durchgreifen. Im Folgenden soll der Frage nachgegangen werden, ob der Gesetzgeber von 1998 das Wechselmodell nur nicht näher geregelt, aber zugelassen hat, oder ob er es – insbesondere durch eine etwaige Festschreibung des Residenzmodells in § 1687 – auszuschließen gedachte (dazu unter II. 2.). Das Ergebnis dieser Frage könnte Aufschluss darüber geben, ob eine gerichtliche Anordnung des Wechselmodells – sei es über § 1671 Abs. 1, sei es über § 1684 Abs. 3 – überhaupt mit der Gesetzessystematik und dem Willen des historischen Gesetzgebers in Einklang zu bringen ist (dazu unter III.).