Ein anderes Ergebnis ergibt sich in dem jüngst vom BVerfG entschiedenen Fall auch nicht mit Blick auf die die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK). Vor dem BVerfG rügefähig sind zwar nur Verstöße gegen Grundrechte des Grundgesetzes, nicht hingegen gegen die EMRK, denn letztere ist als völkerrechtlicher Vertrag innerstaatlich aufgrund des zur Umsetzung nach Art. 59 Abs. 2 GG erlassenen Gesetzes einfaches Recht. Dennoch sind die EMRK und Rechtsprechung des EGMR bei der Auslegung von Grundrechten zu beachten. So könnte ein Verstoß gegen die EMRK mittelbar einen rechtswidrigen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG darstellen.
Die Berücksichtigung der als Auslegungshilfe für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite von Grundrechten heranzuziehenden EMRK und der Rechtsprechung des EGMR führt in dem genannten Fall aber zu keinem Verfassungsverstoß. Zwar beinhaltet das Recht auf Achtung des Privatlebens nach Art. 8 Abs. 1 EMRK das Recht auf Identität, zu dem auch das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung gehört. So stellte beispielsweise in der Rechtssache Odièvre der EGMR im Zusammenhang mit französischen Regelungen zur anonymen Geburt fest, dass zur Entwicklung der Person das Recht gehöre, notwendige Informationen über wesentliche Aspekte ihrer eigenen Identität oder die ihrer Eltern zu erhalten. Dies betraf jedoch die Vorenthaltung von Personenstandsurkunden, die bei den Behörden lagen. Im Ergebnis billigte der Gerichtshof die zugrunde liegende Geheimhaltungsregelung, weil sie eine Möglichkeit vorsah, die Identität der Mutter offenzulegen, wenn die Mutter dem zustimmt. Entsprechend hatte der Gerichtshof im Fall Godelli lediglich die absolute Weigerung der Behörden beanstandet, der dortigen Beschwerdeführerin Einblick in ihre persönliche Herkunft zu gewähren, ohne danach zu differenzieren, ob die Mutter an ihrem Wunsch, ihre Identität nicht preiszugeben, noch festhielt oder nicht.
Auch aus der Entscheidung in der Rechtssache Pascaud lässt sich kein Rechtsverstoß herleiten. Dort beanstandete der Gerichtshof, dass dem Beschwerdeführer eine rechtliche Anerkennung seiner Abstammung von einem zwischenzeitlich verstorbenen Mann verwehrt wurde, obwohl die biologische Abstammung aufgrund einer gerichtlich angeordneten DNA-Analyse mit 99,99 %iger Sicherheit feststand und der Verstorbene keine Familie mehr hatte. Beanstandet wurde vom EGMR die fehlende Möglichkeit der (erbrechtlich relevanten) rechtlichen Anerkennung der Vaterschaft, nicht das Fehlen der Möglichkeit einer isolierten Abstammungsklärung.
In Rechtsstreitigkeiten um Rechte eines mutmaßlich biologischen Vaters hat der Gerichtshof vielmehr ausdrücklich festgestellt, dass die Entscheidung, eine gesonderte statusunabhängige genetische Untersuchung zur Klärung der Abstammung eines Kindes nicht zu gestatten, innerhalb des staatlichen Ermessensspielraums liegt. Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs lässt sich folglich ebenfalls nicht ableiten, dass neben der rechtlichen Vaterschaftsfeststellung auch eine Möglichkeit der isolierten Abstammungsklärung bereitstehen müsste.