Mit dem 1. Eherechtsreformgesetz, in Kraft getreten zum 1.7.1977, springt die Chance für nachehelichen Unterhalt auf eine bisher nicht gekannte Ebene. Was war der rechtspolitische Hintergrund? Der Übergang von einem Mischsystem aus Verschuldens- und Zerrüttungsscheidung zu einer reinen Zerrüttungsscheidung bedeutete einen Umsturz des bisherigen Eheverständnisses, bei dem nicht allen wohl war. Die konkrete politische Situation sah eine rot-gelbe Koalition an der Regierung, während im Bundesrat die CDU/CSU geführten Länder die Mehrheit hatten. Da die Scheidungsreform partiell der Zustimmung des Bundesrates bedurfte, drohte die Reform ohne eine Einigung zwischen den politischen Blöcken zu scheitern.
Die Verabschiedung des Verschuldens als Normelement auch im Scheidungsfolgenrecht ließ gewisse Befürchtungen aufkommen. Zwei Szenarien belebten die Fantasie:
Szenario 1: Der ökonomisch überlegene Ehemann orientiert sich erotisch neu und verstößt die Ehefrau, die bisher mit seinem Einverständnis den Haushalt geführt und überwiegend die Kinder betreut hat und die nun – nach ihrer Entfernung aus der Ehe – dem sozialen Abstieg anheim zu fallen droht (Stichwort: die verstoßene Hausfrau und Mutter).
Szenario 2: Die Ehefrau ist des vom beruflichen Alltag zermürbten Gatten überdrüssig und verlässt, vielleicht wegen eines neuen Lovers, mit oder ohne die Kinder, den heimischen Herd, betreibt die Scheidung und lässt das alles qua Unterhalt, Zugewinn- und Versorgungsausgleich vom Ex-Ehemann dauerhaft finanzieren.
So führte der (im September 2011 verstorbene) CDU-Abgeordnete Prof. Dr. Paul Mikat aus:
Zitat
"Unser künftiges Scheidungsrecht sollte auf jeden Fall dem Rechtsgrundsatz Geltung verschaffen, dass niemand aus eigenen Rechtsverletzungen für sich günstige Rechtsfolgen herleiten kann."
Diese beiden Ängste muss man vor Augen haben, um das Reformgesetz zu verstehen. Allerdings überwog in der entscheidenden Phase der Gesetzgebung die Sorge um die verstoßene Hausfrau. Das erklärt manche Akzentverschiebungen zugunsten der potenziell Unterhaltsberechtigten, die zwischen dem Diskussionsentwurf des Justizministeriums von 1970 und dem Regierungsentwurf von 1973 zu verzeichnen sind.
Obwohl die Opposition eine noch weitergehende Regelung gefordert hatte, nämlich die grundsätzliche Festlegung einer nachehelichen Unterhaltspflicht bei Bedürftigkeit des anderen Teils, konnte sie mit dem, was der Regierungsentwurf und ihm folgend das Gesetz bot, durchaus zufrieden sein: Der nacheheliche Unterhalt wurde zwar auf bestimmte Tatbestände beschränkt, deren aber so viele waren (und noch heute sind), dass von einem "Meer von Unterhaltsansprüchen" die Rede war. Dazu kam die Orientierung jeglichen Scheidungsunterhalts an den ehelichen Lebensverhältnissen (§ 1578 Abs. 1 BGB) und der grundsätzliche Vorrang des Unterhalts der geschiedenen Ehefrau vor dem ihrer Nachfolgerin (§ 1582 BGB). Dem Szenario 2 trug das Gesetz dadurch Rechnung, dass § 1579 BGB durch Hinzufügung einer Generalkausel weiten Interpretationsmöglichkeiten zugeführt wurde.
Aufs Ganze gesehen fiel das Recht des Geschiedenenunterhalts im 1. EheRG recht üppig aus, zumal sich alsbald in der Rechtsprechung zu Beginn der 80er-Jahre das berühmte Altersphasenmodell beim Betreuungsunterhalt herausbildete. Unsere Charts tragen dem durch einen steilen Aufstieg der Kurve Rechnung.