Häufig ergeben sich Umgangseinschränkungen in der familiengerichtlichen Praxis aufgrund einer ablehnenden Haltung des Kindes. Hierbei handelt es sich um eine Fallkonstellation, die menschlich, kinderpsychologisch und juristisch nur schwer zu bewältigen ist.
Ein wesentlicher Aspekt bei der Prüfung des Kindeswohls (§ 1697a BGB) ist der Kindeswille. Der Wille des Kindes ist Ausdruck seiner Selbstbestimmung und ein Bindungsindiz, wobei die Bindung und der tatsächlich geäußerte Wille nicht übereinstimmen müssen. Das Persönlichkeitsrecht des Kindes erfordert es, seine Wünsche und Interessen bei der Umgangsregelung zu berücksichtigen. Mit zunehmendem Alter kommt dem geäußerten Willen des Kindes immer stärkere Bedeutung zu, wobei ab einem Alter von 11–13 Jahren kaum noch die Anordnung eines Umgangs gegen den gefestigten Willen in Betracht kommt. Allerdings kommt dem Willen des Kindes kein absoluter Vorrang zu. Vielmehr ist dieser gegen die Interessen des Umgangsberechtigten abzuwägen. Auch ist zu berücksichtigen, dass der Umgang des Kindes mit beiden Elternteilen grundsätzlich dem Kindeswohl dient, § 1626 Abs. 3 S. 1 BGB.
Eine besondere Schwierigkeit stellt in diesem Zusammenhang der Umstand dar, dass der geäußerte Kindeswille in der familiengerichtlichen Praxis häufig mehr oder weniger beeinflusst bzw. manipuliert wird. Dies kann zum Teil sehr offensichtlich ("ich möchte Papa nicht sehen, weil er keinen Unterhalt zahlt") oder subtiler ("ich möchte Papa nicht sehen, weil er die neue Frau lieber hat als mich") geschehen.
Der Umgang mit einem beeinflussten Kindeswillen ist noch nicht abschließend geklärt. Zum Teil wird darauf abgestellt, ob der Ablehnung nachvollziehbare Beweggründe zugrunde liegen. Als alleiniges Kriterium erscheint dieser Umstand allerdings nicht geeignet. Denn häufig können Kinder in Anhörungen aus Erwachsenensicht keine nachvollziehbaren Gründe für die Ablehnung von Umgangskontakten angeben.
Mittlerweile wird zur Beurteilung dieser Frage stärker auf die Qualität des Kindeswillens abgestellt. Selbst ein auf einer bewussten oder unbewussten Beeinflussung beruhender Wunsch kann beachtlich sein, wenn er Ausdruck echter und damit schützenswerter Bindungen ist. Ein Kindeswille ist grundsätzlich beachtlich, wenn er autonom, intensiv, stabil und zielorientiert ist. Ein Kindeswille kann dann unbeachtlich sein, wenn der manipulierte Kindeswille nicht den wahren Bindungsverhältnissen entspricht und die Nichtbefolgung des Kindeswillens nicht ihrerseits zu einer Kindeswohlgefährdung führt. Ferner kann ein Kindeswillen dann unbeachtlich sein, wenn seine Befolgung das Kindeswohl gefährdet.
In der familiengerichtlichen Praxis treten häufig Fälle auf, bei denen man es mit einem manipulierten, aber stark verfestigten Kindeswillen zu tun hat. In solchen Fällen ergibt die kinderpsychologische Begutachtung häufig, dass ein Umgang ohne eine erhebliche Kindeswohlgefährdung nicht durchgeführt werden kann. Begründet wird diese sachverständige Einschätzung meist damit, dass das Kind ein Übergehen seines Willens als Kontrollverlust bezüglich seiner Person erleben würde. Das Kind würde seine Selbstwirksamkeitsüberzeugung verlieren, was zu psychischen Erkrankungen oder Verhaltensauffälligkeiten führen könne. In solchen Fällen sollte das Familiengericht versuchen, auf das Kind und den betreuenden Elternteil im Rahmen der Anhörung einzuwirken. Gelingt das nicht, bleibt zur Vermeidung einer unzumutbaren Belastung für das Kind nur der Umgangsausschluss.
Anders ist der Fall zu beurteilen, bei dem das Kind zwar eine erhebliche Ablehnungshaltung betreffend den Umgang mit dem Umgangsberechtigten hat, diese aber nach sachverständiger Feststellung durch eine erzieherische Einwirkung des betreuenden Elternteils ohne Kindeswohlgefährdung überwunden werden kann. Der Verweigerung der erzieherischen Einwirkung durch den betreuenden Elternteil muss dann durch gerichtliche Maßnahmen (Ordnungsgeld/Ordnungshaft § 89 Abs. 1 FamFG) entgegengewirkt werden.
Verfahrensrechtlich lässt sich die Qualität des Kindeswillens – insbesondere bei kleineren Kindern – häufig nicht ohne kinderpsychologisches Sachverständigengutachten klären.
Auch spielt der Zeitfaktor eine wesentliche Rolle. Je länger das Verfahren dauert, desto eher verfestigt sich ein ablehnender Kindeswille bis zu dem Punkt, an dem er sich ohne Kindeswohlgefährdung nicht mehr überwinden lässt.