Leitsatz (amtlich)
1. Je schwerwiegender durch eine familiengerichtliche Entscheidung - hier Anordnung eines vollständigen Umgangsausschlusses - in Rechte von Verfahrensbeteiligten eingegriffen wird, desto eher ist zur Sachverhaltsaufklärung die Einholung eines kinderpsychologischen Sachverständigengutachtens geboten.
2. Vor der Anordnung eines vollständigen Umgangsausschlusses sind mildere Maßnahmen wie z.B. die Anordnung von begleiteten Umgangskontakten zu prüfen.
3. Eine gemeinsame Anhörung von vier Kindern in einem Alter von 5 bis zu 11 Jahren erscheint nicht geeignet, um zuverlässig bei jedem Kind einen beachtlichen ablehnenden Kindeswillen hinsichtlich von Umgangskontakten zu ermitteln.
4. Die Ermittlung eines beachtlichen ablehnenden Kindeswillens zur Begründung eines vollständigen Umgangsausschlusses macht insbesondere bei kleineren Kindern häufig die Einholung eines kinderpsychologischen Sachverständigengutachtens erforderlich.
Verfahrensgang
AG Lübeck (Beschluss vom 08.05.2015; Aktenzeichen 125 F 45/15) |
Tenor
1. Auf die Beschwerde des Kindesvaters wird der Beschluss des AG - Familiengericht - Lübeck vom 8.5.2015 (125 F 45/15) aufgehoben und die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung - auch über die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens - an das AG - Familiengericht - Lübeck zurückverwiesen.
2. Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben.
3. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Frau K. und Herr H. sind die Eltern der beteiligten minderjährigen Kinder. Die Kindeseltern waren verheiratet, sie trennten sich Ende September 2007. Die Kinder leben seit der Zeit bei der Kindesmutter. Die Ehe der Kindeseltern wurde am 3.2.2010 rechtskräftig geschieden.
Die Eltern lebten zunächst getrennt in B. Vor dem AG - Familiengericht - in B. kam es zu verschiedenen Verfahren, unter anderem einem Gewaltschutzverfahren (AG Bremen,...) und zwei Umgangsverfahren. Das Umgangsverfahren zum Aktenzeichen endete am 14.2.2008 mit einer Umgangsvereinbarung. Ein weiteres Verfahren zum Aktenzeichen... AG B. wurde durch Antrag der Kindesmutter vom 10.1.2011 eingeleitet. Darin beantragte die Kindesmutter, den Umgang des Kindesvaters mit den Kindern unbefristet auszusetzen. In diesem Verfahren wurde ein Verfahrensbeistand bestellt. Außerdem wurde ein Gutachten eingeholt. Die bestellte Gutachterin, Frau Diplom-Psychologin A., legte unter dem 12.7.2011 ihr Gutachten vor. Nach Vorlage eines Gutachtens wurde in einer mündlichen Verhandlung vom 13.6.2012 erörtert, dass der Kindesvater "gewisse Voraussetzungen" erfüllen müsse, bevor ein begleiteter Umgang umgesetzt werden könne. Dazu gehörten ein Anti-Aggressions-Training sowie eine Verbesserung seiner Deutschkenntnisse.
In der Folgezeit absolvierte der Kindesvater ein Anti-Aggressionstraining und die Beteiligten des damaligen Verfahrens kamen überein, dass ein begleiteter Umgang stattfinden könne. Die Kindesmutter war zwischenzeitlich mit den Kindern nach L. verzogen. Es bestand deswegen Einigkeit, dass der begleitete Umgang in L. über den freien Träger "S. e.V." durchgeführt werden sollte. Mit Beschluss des AG B. vom 6.2.2013 wurde sodann angeordnet:
"1. Der Kindesvater sieht die gemeinsamen Kinder der Beteiligten im Rahmen eines begleiteten Umgangs einmal im Monat für jeweils zwei Stunden.
2. Der begleitete Umgang wird vom Träger "S. e.V.", W. straße ..., in L. durchgeführt. Die konkreten Umgangskontakte werden in eigener Verantwortung des Trägers mit den Kindeseltern abgesprochen und umgesetzt.
(...)."
Unter dem 22.7.2013 berichtete der freie Träger "S. e.V.", durch seine Mitarbeiterin M., über den begleiteten Umgang. Im Ergebnis wurde darin ein unbegleiteter Umgang des Kindesvaters mit seinen Kindern sowie dessen langsame Ausweitung zum Herbst 2013 befürwortet.
In der Folgezeit kam es zu unbegleiteten Umgängen. Die Kinder haben den Kindesvater in Bremen besucht. Dies geschah auch während der Schulferien 2014 in der Zeit vom 18.4. bis 2.5.2014 sowie vom 25.7. bis 22.8.2014.
Unter dem 9.2.2015 leitete die Kindesmutter das vorliegende Umgangsverfahren ein.
Sie trägt vor, dass während des Aufenthaltes der Kinder beim Kindesvater im April/Mai 2014 der Kindesvater den Kindern verboten habe, die Kindesmutter anzurufen. Gleichzeitig habe er ihnen erzählt, dass die Kindesmutter eine Schlampe sei. Dies habe die Kinder zutiefst verwirrt und den Wunsch bei den Kindern hervorgerufen, den Umgangskontakt vorzeitig zu beenden. Dies habe der Kindesvater aber verboten.
Während des Umgangskontaktes in den Sommerferien sei es zu mehreren erheblichen gewaltsamen Übergriffen des Kindesvaters gegenüber den Töchtern M. und L. gekommen. Dies sei aus nichtigem Anlass erfolgt. Der Kindesvater habe die Kinder angeschrien und M. anschließend geschlagen, wobei das Kind erhebliche Schmerzen erlitten habe. Beim gemeinsamen Fernsehen habe der Kindesvater M. geschlagen und anschließend im Beisein ihrer Geschwister eine halbe Stunde in die ...