15. Göttinger Workshop zum Familienrecht
Am 20.10.2017 veranstalteten Prof. Dr. Dagmar Coester-Waltjen, Prof. Dr. Volker Lipp, Prof. Dr. Eva Schumann und Prof. Dr. Barbara Veit den 15. Göttinger Workshop zum Familienrecht. Er griff die Diskussion um das sog. Wechselmodell auf, die schon seit einigen Jahren – zuletzt aufgrund der BGH-Entscheidungen zur gerichtlichen Anordnung des Wechselmodells gegen den Willen eines Elternteils im Wege einer Umgangsregelung und zum Kindesunterhalt – kontrovers geführt und Gegenstand des 72. Deutschen Juristentags sein wird.
Der erste Vortrag von Prof. Dr. Kirsten Scheiwe (Hildesheim) eröffnete unter dem Titel "Der alternierende Aufenthalt des Kindes bei beiden Eltern im Rechtsvergleich (Australien, Belgien und Schweden)" einen differenzierten Blick auf drei gelegentlich als Positivbeispiel herangezogene Rechtsordnungen. Scheiwe wies zunächst darauf hin, dass das unterschiedliche Verständnis von der sog. geteilten Betreuung zu beachten sei: Während das Wechselmodell in Deutschland vom BGH mit einer zumindest annähernd hälftigen Betreuung durch beide Elternteile gleichgesetzt wird, genüge in Schweden ein Verhältnis der Betreuungsanteile von 40 % zu 60 % für einen alternierenden Aufenthalt. In Australien umfasse das shared-time parenting bereits ein Verhältnis von 30 % zu 70 %, in Belgien läge ein "gleichmäßiger Aufenthalt" bei Betreuungsanteilen von einem Drittel zu zwei Dritteln vor. In keinem der drei Länder (auch nicht in Belgien) sei die geteilte Betreuung das gesetzliche Leitbild, allerdings sei eine Anordnung gegen den Willen eines Elternteils zum Wohle des Kindes möglich. Ganz scheide die geteilte Betreuung hingegen bei andauernden Elternkonflikten aus, da diese als kindeswohlschädlich angesehen werden. Weil der Elternkonsens in diesen Ländern zudem einen hohen Stellenwert genieße, könnten die Eltern etwa in Schweden das Betreuungsmodell auch ohne Anrufung des Gerichts rechtsverbindlich beim Social Welfare Comittee festlegen. Auch in Australien werden in 73 % der Fälle Beratungs- und Mediationsangebote der Family Relationship Centres und der Anwaltschaft genutzt, um ein einvernehmliches Betreuungsmodell zu vereinbaren.
Dr. Heinz Kindler vom Deutschen Jugendinstitut sprach sich in seinem Vortrag "Starke und schwache Thesen zu Wechselmodell und Kindeswohl: Eine Bewertung aus sozialwissenschaftlicher Sicht" ebenfalls gegen das Wechselmodell als gesetzliches Leitbild aus. Das Wechselmodell solle lediglich als Alternative zum Residenzmodell im Gesetz abgebildet werden. Denn die Argumente, die für das Wechselmodell als Regelfall sprechen, seien nur schwach und durch Selektionseffekte in den Studien erklärbar. Soweit dennoch Vorteile bestünden, könnten diese durch andere Faktoren, wie einer geringeren Stabilität der Peer-Kontakte des Kindes, negiert werden. Zudem seien sogar Negativ-Effekte belegbar, insbesondere könne die Qualität der Beziehung der Kinder zu ihren Eltern unter dem Wechselmodell leiden. Daher könne kein Leitbild, sondern nur das Kindeswohl im Einzelfall entscheidend sein.
Richterin Heike Hennemann (KG Berlin) bestätigte in ihrem Vortrag "Das Wechselmodell in der gerichtlichen Praxis", dass die Entscheidung für ein Betreuungsmodell ihrer Erfahrung nach immer von einer Abwägung vieler verschiedener Kriterien im Einzelfall abhänge. Dabei seien parallele Elternschaften zu vermeiden, stattdessen sollten Kinder miteinander agierende Eltern erleben. Vor einer Entscheidung müsse sich das Gericht ein eigenes Bild vom Kind verschaffen. Mit ihrer Forderung nach einer Anhörung von Kindern ab drei Jahren stellte sich Hennemann auch gegen eine neuere Entwicklung in der Praxis, die teils ohne nähere Begründung von der Kindesanhörung absieht und eine einschneidende Entscheidung für ein Kind trifft, das es nie kennengelernt hat. Es ginge nicht darum, das Kind bloß nach seinem Willen zu fragen, sondern dessen Bedürfnisse, Sorgen und Vorstellungen zu begreifen und diese bei der Entscheidung zu berücksichtigen.
Dr. Simon Marchlewski, Mitarbeiter bei Prof. Dr. Barbara Veit, untersuchte auf der Grundlage seiner in Kürze erscheinenden Dissertation die verfassungsrechtliche Dimension einer gerichtlichen Anordnung des Wechselmodells gegen den Willen eines Elternteils. Zunächst wies er darauf hin, dass § 1671 BGB und § 1684 Abs. 3 BGB keine geeigneten Rechtsgrundlagen zur Anordnung eines Wechselmodells seien. Auch verfassungsrechtlich lasse sich die Anordnung eines Wechselmodells gegen den Willen eines Elternteils (unterhalb der Eingriffsschwelle des § 1666 BGB) nicht rechtfertigen. Er schlug daher vor, verstärkt auf einen Konsens der Eltern hinzuwirken und insoweit § 156 Abs. 2 FamFG auszuweiten.
Auch wenn gegen die umgangsrechtliche Lösung des BGH Bedenken bestehen, machte die anschließende Diskussion deutlich, dass die Praxis nach einer validen Rechtsgrundlage für die Anordnung gegen den Willen eines Elternteils verlangt.
Prof. Dr. Volker Lipp (Göttingen) analysierte in ...