Eine Strafanzeige kann unterhaltsschädlich sein, wenn
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die in ihr behaupteten Tatsachen falsch sind und der Anzeigeerstatter dies weiß, in Kauf nimmt oder leichtfertig (= grob fahrlässig) nicht erkennt oder |
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für die Erstattung einer inhaltlich begründeten, berechtigten, wahrheitsgemäßen Anzeige kein berechtigtes Interesse besteht, etwa weil sie nur in Schädigungsabsicht oder aus Rache erstattet wird oder weil zwischen der Strafanzeige vom angeblich verletzten Rechtsgut her und dem Familienrechtsverfahren keinerlei Beziehung besteht. |
Allerdings müssen auch die weiteren Voraussetzungen des § 1579 BGB erfüllt sein (Gefährdung schwerwiegender Vermögensinteressen, schwerwiegendes Fehlverhalten, grobe Unbilligkeit). Deshalb tritt die Verwirkung auch bei an sich "unberechtigter Strafanzeige" mangels Gefährdung schwerwiegender Vermögensinteressen nicht ein, wenn die Strafanzeige einen untauglichen Versuch der Schädigung des Unterhaltsverpflichteten und/oder Verbesserung der familienrechtlichen Situation des Unterhaltsberechtigen darstellt.
Soweit es um die Einzelheiten des berechtigten Interesses geht, ist es sachdienlich, auf die umfangreiche Judikatur und Literatur zu § 193 StGB zurückzugreifen: So lässt sich etwa der Ausschluss bei Rache mit dem Fehlen des subjektiven Rechtfertigungselements erklären. Das Bestehen einer Informationspflicht ist bei § 193 StGB anerkannt, ebenso die Verneinung dieses Rechtfertigungsgrundes bei leichtfertigem Handeln. Zudem muss auch bei § 193 StGB das Handeln des Täters erforderlich und angemessen sein, wobei die beiderseitigen Interessen gegeneinander abzuwägen sind. Wahrgenommen werden können nicht nur eigene, sondern auch fremde Interessen, wenn der Täter zu den entsprechenden Personen in einer nahen Beziehung steht, was bei gemeinsamen Kindern evident zu bejahen ist.
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist eine Strafanzeige des Unterhaltsberechtigten gegen den Unterhaltsverpflichteten unbedenklich, wenn
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keine unrichtigen Tatsachen vorgetragen werden, |
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ungeachtet der Richtigkeit der Tatsachen, aber auch bei fehlender Aufklärbarkeit der Anzeigende die von ihm behaupteten oder weitergegebenen Tatsachen zuvor sorgfältig überprüft hat, |
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er die Tatsachen nicht überzogen bewertet und auch keine Formalbeleidigung ausspricht, |
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zwischen dem Gegenstand der Strafanzeige und dem familienrechtlichen Verfahren ein "innerer Zusammenhang" besteht, insbesondere nachvollziehbar ist, dass der Anzeigende nunmehr zu strafprozessualen Mitteln greift, |
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die Folgen der Strafanzeige im Vergleich zur erstrebten Verbesserung der Beweissituation im Familienrechtsverfahren nicht unverhältnismäßig sind und |
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(als Ausfluss der nachehelichen Solidarität) die Strafanzeige das letzte Mittel ist, der Anzeigeerstatter dem Unterhaltsverpflichteten also Gelegenheit gegeben hat, das Problem familienrechtlich zu lösen. |
Da die Verwirkungsgründe Folgen der (nach-)ehelichen Loyalität sind, ist die Erstattung einer Strafanzeige zur Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche umso eher gestattet, je weniger der Angezeigte im Zivilprozess selbst dieser Loyalität Rechnung getragen hat und je mehr der Anzeigeerstatter im Zivilprozess versucht hat, dort seine Ansprüche durchzusetzen, bevor er zum letzten Mittel der Strafanzeige griff. Die nacheheliche Loyalität ist eben keine Einbahnstraße, sondern gilt für beide Ehepartner.
Autor: Prof. Dr. Johannes Hellebrand , Rechtsanwalt, Staatsanwalt a.D., Goch/Bochum