Nach Artikel 6 des Gesetzes zur Reform der elterlichen Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern hat das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz dem Deutschen Bundestag einen Bericht über die Evaluierung der durch das genannte Gesetz geänderten sorgerechtlichen Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) und des eingefügten § 155a des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) vorzulegen.
Auf diese Weise sollte geprüft werden, ob sich die gesetzliche Neuregelung, die seinerzeit ein Kompromiss zwischen den beiden intensiv diskutierten Regelungsmodellen eines gemeinsamen Sorgerechtes kraft Gesetzes ab Geburt und desjenigen einer Übertragung der gemeinsamen Sorge auf den Vater durch das Gericht mit positiver Kindeswohlprüfung in einem normalen Sorgerechtsverfahren war, bewährt hat.
Zum Zweck der Erfüllung der genannten Evaluationsverpflichtung hat das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz die Evangelische Hochschule Nürnberg mit dem Forschungsvorhaben zum Thema "Auswertung der Sondererhebung zu § 1626a BGB in Verbindung mit § 155a FamFG zur Evaluation des Gesetzes zur Reform der elterlichen Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern" beauftragt. Durchführende Einrichtung war das Institut für Praxisforschung und Evaluation.
Die wesentlichen Ergebnisse des Schlussberichts sind:
1. Die Anzahl der Anträge, die im schriftlichen Verfahren ohne Erörterungstermin entschieden werden, liegt unter einem Drittel.
2. Die im Gesetzgebungsverfahren geäußerte Befürchtung, Mütter würden kurz nach der Geburt in sorgerechtliche Verfahren gezwungen, die zur Einführung der Schonfrist für die Mutter (§ 155a Abs. 2 FamFG) geführt hat, hat sich in der Praxis nicht bestätigt.
3. Zu Folgeanträgen auf Übertragung der elterlichen Sorge gemäß § 1671 Abs. 1 BGB nach einer die gemeinsame Sorge begründenden Entscheidung gemäß § 1626a Abs. 2 BGB kam es nur selten und wesentlich seltener, wenn es zunächst eine Entscheidung im schriftlichen Verfahren gab. Es darf angenommen werden, dass die auf diese Weise entschiedenen Anträge "klare Fälle" sind, in denen offenbar keine entsprechenden kindbezogenen Gründe vorliegen, die gegen die gemeinsame Sorge sprechen, und dass die Entscheidungen auf relativ große Akzeptanz stoßen.
4. Nur bei einem äußerst geringen Prozentsatz der Fälle wurde eine im Verfahren nach § 155a Abs. 3 FamFG ergangene Entscheidung in der Beschwerdeinstanz oder in einem Abänderungsverfahren gemäß § 1696 Abs. 1 S. 2 in Verbindung mit § 1671 BGB deswegen revidiert, weil – entgegen der Vermutung des § 1626a Abs. 2 S. 2 BGB – doch kindeswohlrelevante Gründe gegen die gemeinsame Sorge vorgelegen haben (unter 1,2 Prozent der Fälle).
5. Befragt nach der Bewährung der neuen Vorschriften, äußerten sich von denjenigen Richtern, die zu dieser Frage geantwortet haben, mehr als zwei Drittel hinsichtlich § 1626a BGB positiv mit "ja" (gegenüber einem knappen Drittel "nein"-Stimmen); hinsichtlich § 155a FamFG war das Verhältnis umgekehrt (gut ein Drittel "ja-" zu knapp zwei Drittel "nein"-Stimmen).
Anhand der Datenlage lässt sich keine Aussage dazu treffen, in wie vielen Verfahren, die im Erhebungszeitraum mit der Übertragung der gemeinsamen Sorge durch das Gericht endeten, ein Termin und in wie vielen Fällen ein schriftliches Verfahren vorausgegangen ist. Der Schlussbericht gibt dennoch Aufschluss über die Frage, wie das Konzept der Neuregelung von der Praxis aufgenommen wird und wie es sich bewährt hat.
Die Ergebnisse des Forschungsprojekts zeigen zum einen, dass viele Befürchtungen, die mit Einführung des vereinfachten Sorgeverfahrens verbunden waren und die Anlass zu dem Evaluierungsauftrag waren, nicht eingetreten sind. Zum anderen zeichnet sich ab, dass die neuen Regelungen in der Praxis durchaus handhabbar sind, auch wenn es insbesondere im Rahmen der qualitativen Richterbefragung Stimmen gibt, die – wie in der damaligen rechtspolitischen Diskussion – entweder eine restriktivere (positive Kindeswohlprüfung) oder eine weitergehende Lösung (gemeinsame gesetzliche Sorge kraft Gesetzes) befürworten.
Aus dem Bericht ergibt sich daher zunächst kein unmittelbarer gesetzgeberischer Handlungsbedarf.
Quelle: BT-Drucks 19/1450 v. 29.3.2018
FF 6/2018, S. 222