Neben solchem Wissen ist auch die Wissensvermittlung und konkrete Übung in dem zentralen Instrument der Kindesanhörung zu fordern. Es ist sicher kein Zufall, dass auch im "Breisgauer Fall" dieser von der UN-Kinderrechtskonvention und vom deutschen Verfahrensrecht vorgegebene Verfahrensbestandteil nicht zum Einsatz kam. Viele Richterinnen und Richter tun sich auch heute noch schwer mit der Kindesanhörung – und dies aus gutem Grund: In Bezug auf die Kindesanhörung sind nämlich neben praktischen Skills auch Wissen zu sprachlichen und kommunikativen Kompetenzen von Kindern in unterschiedlichen Altersgruppen und in Abhängigkeit von erlebten Belastungen oder vorhandenen psychischen Störungen erforderlich, ebenso wie Kenntnisse zur Emotionsentwicklung und zu Gedächtnisleistungen. Diese Voraussetzungen sind dargestellt in einem kurzen Leitfaden für die Praxis der Polizei und Staatsanwaltschaften zur entwicklungsgerechten Befragung von Kindern im Strafverfahren. Auch anhörende Richterinnen und Richter sollten Wissen über kindliche Suggestibilität und unbedingt praktisch trainiert haben, nicht suggestiv zu fragen. Denn gerade im familiengerichtlichen Verfahren wird massiv von allen Seiten auf Kinder Einfluss genommen und entstehende Loyalitätskonflikte erleben sie häufig als sehr belastend. Hier gilt es, die Belastungen durch ein Verfahren so weit wie möglich zu minimieren.
In Studium oder Referendariat können Richterinnen und Richter kaum gelernt haben (s.o.), Kinder unterschiedlichen Alters und insbesondere Kinder mit schweren potentiell traumatisierenden Belastungen oder psychischen Auffälligkeiten adäquat zu befragen. In einer Online-Erhebung gaben Fachkräfte aus ganz unterschiedlichen Berufsbereichen als eines ihrer Haupthindernisse im Umgang mit Missbrauchsfällen die zentrale Frage an "Wie spreche ich mit dem Kind?". Die Kindesanhörung ist deshalb ein besonders gutes Beispiel, weil man an ihr verdeutlichen kann, dass es einerseits um Wissensinhalte geht, die vermittelt werden müssen, und andererseits um Kompetenzen in der Gesprächsführung und Gestaltung der Gesprächssituation. Aus der Lernforschung weiß man, dass der Kompetenzerwerb in der Regel Übung voraussetzt. Im Hinblick auf die Aus-, Fort- und Weiterbildung im juristischen Bereich ist den Autoren dieses Beitrages jedoch keine einzige Schrift bekannt, die sich mit den ethischen Fragen des praktischen Trainings der Anhörung auseinandersetzt. Es gab Untersuchungen dazu, wie häufig die Anhörung in der Praxis stattfindet. Wie jedoch der Kompetenzerwerb erfolgt, dazu scheint es keine breitere Diskussion zu geben, obwohl sie dringend geboten wäre.
In den Curricula im Medizinstudium gibt es zahlreiche Veranstaltungen sowohl in der Vorklinik als auch im klinischen Studienteil zur Gesprächsführung. Das ist nicht hinreichend und wird vielfach diskutiert, aber generell wird in der medizinischen Ausbildung in den letzten Jahren der Kompetenzerwerb, neben dem Wissenserwerb, ganz zentral in den Vordergrund gestellt. Dies gilt noch sehr viel stärker für die Spezialisierung im Rahmen der Facharztausbildung und auch in der medizinischen Weiterbildung. E-Learning-Programme mit ihren Möglichkeiten, durch Video direkt am Vorbild zu lernen etc., spielen hier mittlerweile schon eine wahrnehmbare Rolle. In solchen relativ aufwendig zu erstellenden Programmen kann eine große Zahl von Personen intensiv (nicht wie bei Halbtages-, Tages- oder Zweitagesfachveranstaltungen, die meistens nur das Thema anreißen) konkret weitergebildet werden. In den Heilberufen geschieht das oft auch durch "learning by doing" unter Aufsicht oder zunehmend in spezifischen, objektivierbaren, standardisierten Praxissituationen (z.B. mit Schauspielerpatienten, auch Kindern und Jugendlichen) und vor allem in hochtechnisierten und hochgefahrgeneigten Bereichen in Skills Labs mit Simulatoren und zunehmend auch unter Einsatz von virtual reality, um Patienten vor dem ungeübten Arzt bzw. der ungeübten Ärztin zu schützen.