Anhand der genannten Entscheidungen wird so gezeigt, dass die Debatte um die Bewertung einer freiberuflichen Praxis vermutlich weitergehen wird. Indem die Definition des individuellen Unternehmerlohns vorangetrieben worden ist, wird gleichzeitig der Blick auf weitere Bewertungsprobleme gerichtet. Drei Komplexe sollen hier erwähnt werden, ohne gleichzeitig fertige Lösungen vorschlagen zu können.
a) Die Ermittlung des individuellen Unternehmerlohns
Der Weg scheint richtig, bei der Praxisbewertung nicht einen objektivierten, sondern einen an der konkreten Person des Inhabers orientierten Unternehmerlohn vom Gewinn abzuziehen. Das macht die Praxisbewertung aber nur scheinbar einfacher. Welches der richtige individualisierte Unternehmerlohn ist, ist alles andere als eindeutig und wird auch zukünftig noch Anlass für sehr viel Streit bieten.
Der Streit muss sich zwangsläufig daraus ergeben, dass die Höhe des Unternehmerlohnes eine enorme Hebelwirkung hat. Das mag folgendes vereinfachtes Beispiel zeigen:
Der Basiszins plus Risikoaufschlag soll mit 10 % angenommen werden. Dann wäre also der zukünftige Jahresgewinn 10 % des angenommenen Kapitals. Der Unternehmenswert wäre das 10-Fache des Jahresgewinns. Daraus folgt: Nimmt man einen Unternehmerlohn nur 10.000 EUR pro Jahr höher an, dann verringert sich der Unternehmenswert bereits um 100.000 EUR – und umgekehrt. Dass in dieser Situation viel Streit um die Höhe des Unternehmerlohns entstehen muss, liegt auf der Hand.
Wirklich brauchbare Kriterien für die Bestimmung des individuellen Unternehmerlohns lassen sich bei näherer Betrachtung nicht finden. Die Entscheidungen des BGH führen deshalb nur scheinbar weiter. Die Rezeption der Entscheidungen in der Zeitschriftenliteratur bestätigt den BGH zwar im Wesentlichen, gibt aber auch kaum weitergehende Hinweise.
Die veröffentlichten Ansichten nennen zwar Gründe, weshalb von dem zutreffenden Unternehmerlohn ein Zu- oder Abschlag gemacht werden muss. Der Kern des Problems dürfte aber darin liegen, dass die Ausgangsgröße kaum zu ermitteln ist. Was ist das angemessene Gehalt des selbstständig tätigen Freiberuflers? Im gewerblichen Bereich gibt es hinreichend Beispiele von Fremdgeschäftsführern, die ein Gehalt beziehen. Daran kann sich der Unternehmerlohn orientieren. Angestellte Freiberufler gibt es aber eigentlich nicht, jedenfalls nicht im Bereich der Ärzte und Rechtsanwälte. Berufsanfänger arbeiten im Angestelltenverhältnis. Diese sind aber kein Maßstab für eine Praxis, die einen ideellen Wert hat. Wer als Rechtsanwalt erfolgreich ist, wird selbstständig oder Partner einer Sozietät. Wer es nicht ist, scheidet aus dem Beruf aus. Bei Ärzten verbietet schon das Berufsrecht weitgehend Anstellungsverhältnisse. Die Praxis zieht als Vergleich dann Krankenhausärzte oder Juristen im öffentlichen Justizdienst heran. Jedenfalls bei Juristen ist es offensichtlich: Rechtsanwälte, Staatsanwälte und Richter haben denselben beruflichen Ausgangspunkt. Die Art der Berufstätigkeit entwickelt sich im Laufe der Jahre soweit auseinander, dass sie nicht mehr wirklich vergleichbar ist. Deshalb kann die Vergütung der einen Berufsgruppe kein brauchbarer Maßstab für eine angemessene Vergütung der anderen Berufsgruppe sein. Welches Kriterium stattdessen heranzuziehen ist, ist bisher nicht absehbar.
b) Bewertung einer Notarkanzlei
Der BGH bekräftigt den Grundsatz, dass nicht der zukünftige Verkaufspreis Gegenstand der Bewertung sei. Er zitiert eine frühere Entscheidung, in der es heißt:
Zitat
Die Veräußerung ist nicht der einzige Weg, um den vorhandenen inneren Wert nutzbar zu machen. Das kann dadurch geschehen (und geschieht vielfach auch), dass der Praxisinhaber einen jüngeren Kollegen als Sozius aufnimmt, der [ … ] den bisherigen Alleininhaber erheblich entlastet, ohne dass dessen Einnahmen dadurch geschmälert werden.“
Dem zitierten Argument ist unbedingt zuzustimmen.
Indem die Überlegung konsequent fortgeführt wird, hilft sie bei der Bewertung einer Beteiligung an einer großen Sozietät. In großen Anwaltssozietäten besteht in der Regel ein Gesellschaftsvertrag, der die Veräußerung des Anteils ausschließt. Meist wird beim Ausscheiden eines Partners auch keine Vergütung gezahlt, sondern nur das eingelegte Kapital erstattet. Jüngere Partner erhalten zumeist einen geringeren Gewinnanteil als ältere. In den am Stichtag noch bevorstehenden höheren Gewinnanteilen ist deshalb die Auszahlung des Geschäftswertes enthalten. In der Konsequenz heißt das: Der Anteil an einer Rechtsanwaltssozietät ist nach der modifizierten Ertragswertmethode zu berechnen, auch wenn beim Ausscheiden aus der Sozietät keine gesonderte Vergütung gezahlt werden wird.
Wenn der Grundsatz konsequent angewendet wird, dann müssen allerdings wohl auch Notarkanzleien anders bewertet werden, als das bisher üblich war.
Gegenwärtig i...