Einsatz KI in der Personalentwicklung

Von Anfang an wurde der generativen Künstlichen Intelligenz viel Potenzial für die Personal­entwicklung zugemessen. In der Produk­tion von Lern­inhalten ist sie viel­fach im Einsatz. Andere Bereiche bleiben hinter den Erwartungen zurück, zeigt eine neue Studie.

Der technologische Durchbruch im Bereich der Künstlichen Intelligenz (KI) und insbesondere die plötzliche Verfügbarkeit generativer KI, die sich mit dem Namen Chat GPT verbindet, ist dabei, menschliche Arbeit in einer Weise zu verändern, die wir noch kaum absehen können. Für Learning & Development stellen sich damit zwei Fragenkomplexe: Wie können wir Mitarbeitende und Führungskräfte dafür qualifizieren, souverän und zugleich reflektiert KI in ihre Arbeitsprozesse einzubinden? Wie können wir die Möglichkeiten von KI in die Arbeit von L&D einbeziehen, um effizienter und erfolgreicher den Auftrag von L&D in der Organisation zu erfüllen?

Generative KI im L&D Department

Mit der Initiative "State of AI in L&D" wollten wir die letztere Frage in den Blick nehmen und eine Momentaufnahme gewinnen, wie L&D Departments, darunter die unserer Kunden, KI und insbesondere generative KI in ihre Arbeit einbinden. Ziel der Studie war es zu verstehen, 

  • welche Einsatzszenarien für KI im typi­schen Gestaltungsrahmen von L&D denkbar sind, 
  • welche Einsatzszenarien den meisten Wertbeitrag versprechen, 
  • an welchen Einsatzszenarien Unternehmen heute bereits arbeiten und 
  • welche Einsatzszenarien in relevanten Unternehmen heute bereits im Einsatz sind.

Für die Studie wurden daher im März und April 2024 eine Reihe maßgeblicher Unternehmen und Organisationen im deutschsprachigen Raum angesprochen und darum gebeten, ihre Perspektive auf den Einsatz von KI innerhalb von L&D mit uns zu teilen (teilnehmende Unternehmen siehe unten). Weitere Unternehmen kamen ihrerseits auf uns zu, um sich zu beteiligen. Auf diese Weise konnten wir schließlich die Perspektiven von insgesamt 25 Unternehmen und Organisationen zusammentragen.

17 Szenarien für den Einsatz von KI

Grundlage der Umfrage waren 17 Einsatzszenarien für KI innerhalb von Learning & Development, die sich aus unserer Sicht abzeichnen oder zukünftig denkbar erscheinen. Diese Szenarien waren dabei vier Kategorien zugeordnet: 

  1. L&D-Strategie,
  2. Individual Coaching on L&D,
  3. Entwicklung von individuellen Lernerfahrungen / Content-Produktion
  4. L&D-Standardprozesse.

Über alle Einsatzszenarien hinweg waren die teilnehmenden Organisationen gebeten auszuwählen, als wie wichtig sie diese Einsatzszenarien in den drei Zeithorizonten "bereits im Einsatz", "daran wird aktuell gearbeitet" und "werden in den nächsten drei Jahren den meisten Wert stiften" einschätzen. 

Produktion von Lerninhalten durch KI 

Soweit KI bereits eingesetzt wird, ist ihr Haupteinsatzfeld in den L&D-Abteilungen heute die Produktion von Lerninhalten. Hier zeigt sich, dass Systeme wie Chat GPT besonders geeignet erscheinen, Texte, in begrenztem Umfang auch Bilder und zunehmend sogar Videos für Kursangebote zu generieren. Damit können einerseits Kosten gesenkt und andererseits Produktionszyklen deutlich beschleunigt werden, sodass Lerninhalte aktuell bleiben und weniger dramatisch den sich dynamisch verändernden Arbeitsrealitäten hinterherhinken.

Am zweitwichtigsten ist die technisch auf der Hand liegende Nutzung von KI-Systemen für die Übersetzung von Lerninhalten (zum Beispiel Tools wie Deepl für die Textübersetzung oder Hey Gen für die automatische Übersetzung von Videoinhalten). Einige Organisationen experimentieren auch mit KI-Bots als Lernassistenten (zum Beispiel  auf Basis von unternehmensspezifisch angepassten Instanzen von Microsoft Copilot), beispielsweise in Form eines Chatbots, der neue Mitarbeitende in der Onboarding-Phase begleitet. 

KI gibt individuelle Lernempfehlungen 

In der Betrachtung der KI-Einsatzszenarien, an denen die Unternehmen aktuell arbeiten, treten zu den heute bereits erprobten Verwendungen neue Nutzungsweisen hinzu, insbesondere KI-basierte und kontextsensitive Vorschläge zu individuell sinnvollen Lernangeboten. An Einsatzszenarien, die L&D-Abteilungen administrativ entlasten würden, wird dagegen derzeit offenbar noch nicht gearbeitet.

Denkbar wären beispielsweise Lösungen zum Teilnehmenden- und Providermanagement, zur Trainer- und Raumdisposition oder zum Budgetmanagement. Angesichts der Tatsache, dass ein erheblicher Teil der Personalkapazitäten in L&D-Teams durch diese Art von Tätigkeiten gebunden sind, erscheint es überraschend, dass diese Art von Einsatzfeldern aktuell offenbar nicht verfolgt werden. 

Wertschöpfung mit Data-Driven L&D

Die am Survey beteiligten L&D Professionals versprechen sich mittelfristig, über einen Horizont von rund drei Jahren, den größten Wertbeitrag von den folgenden KI-Lösungen: 

KI-basierte, kontextsensitive Vorschläge
Das sind Empfehlungen der individuell relevantesten Lernaktivitäten für Mitarbeitende und Führungskräfte oder eine Kombination dieser Impulse zu individualisierten Lernpfaden. Dahinter steht ein immer drängenderes Problem. In dem Maße, in dem Unternehmen immer mehr Lernressourcen erwerben und entwickeln (in einzelnen Dax-Unternehmen inzwischen mehr als 100.000), sind Mitarbeitende und Führungskräfte zunehmend überfordert, die für sie wichtigsten Lernressourcen zu identifizieren und tatsächlich zu nutzen. Es bleibt abzuwarten, ob und auf welcher Datenbasis KI-Systeme tatsächlich in der Lage sein werden, die für jede Person wichtigsten Lernziele zu identifizieren und in sinnvolle Lernvorschläge umzusetzen. Die Ableitung sinnvoller Lernziele durch die KI würde ein tiefes Verständnis der Rollenanforderungen, des persönlichen Profils und der individuellen Leistung eines Mitarbeitenden voraussetzen, was nicht zuletzt auch Fragen des Datenschutzes aufwirft, die dann zu beantworten wären.

KI-unterstützte Produktion von Lerninhalten
Hier spiegelt sich vermutlich nicht zuletzt die aktuelle Kostenverteilung innerhalb der L&D-Abteilungen wider. Die Beschaffung, Lizenzierung, Produktion und Auslieferung von Lerninhalten bindet unserer Erfahrung nach auch heute noch de facto den Löwenanteil der L&D-Budgets. Gleichzeitig wird von immer mehr L&D-Professionals in Frage gestellt, ob diese Ressourcenallokation im Sinne einer bestmöglichen Effizienz tatsächlich sinnvoll ist. Die starke Gewichtung dieses Einsatzszenarios ist daher sicherlich zugleich Ausdruck der Hoffnung, L&D-Ressourcen für neue/andere Aufgaben freizuschaufeln und damit die Wirksamkeit zu erhöhen. 

Darüber hinaus erscheint die KI-gestützte Produktion von Lerninhalten auch insofern interessant, als damit eine Weiterentwicklung des Lernportfolios in "Echtzeit", das heißt im Tempo der sich ändernden operativen und strategischen Anforderungen des Unternehmens ("Learning at the Speed of Business") ermöglicht werden könnte, während heute das Lernportfolio diesen Anforderungen fast zwangsläufig immer mit deutlichem Abstand hinterherhinkt. Gleichzeitig bleibt kritisch abzuwarten, ob die bereits heute bei vielen Mitarbeitenden vorherrschende "Content Fatigue" – also das Gefühl der Ermüdung und Überforderung angesichts einer unüberschaubaren Flut von Lernangeboten, die potenziell interessant erscheinen, für deren Nutzung aber in der Regel die Zeit fehlt – nicht noch weiter zunimmt, wenn KI-Systeme ohne nennenswerte Grenzkosten immer neue Lernangebote generieren. Tools wie Hey Gen oder Synthesia zeigen bereits, dass die Produktion von Lernmedien künftig so sehr vereinfacht werden wird, dass es realistischer wird, große Gruppen von Expertinnen und Experten in der Organisation hierfür zu gewinnen, vorausgesetzt dass die lernkulturellen Rahmenbedingungen ein solches Handeln subjektiv plausibel erscheinen lassen.

KI-unterstützte Analyse der vielfältigen L&D-Daten
Die Analyse von Daten, unter anderem aus dem Learning-Management-System oder einer Learning-Experience-Plattform ermöglicht eine stärker empirisch ausgerichtete, quantitativ gestützte L&D-Arbeit im Sinne von "Data-Driven L&D" und damit eine stärker evidenzbasierte eigene Arbeitsweise. Für L&D scheint die Chance greifbar, ein Defizit anzugehen, das zum einen selbst empfunden wird und zum anderen aus anderen Unternehmensfunktionen kritisch an L&D herangetragen wird: Viel zu lange hat L&D unter Verweis auf die sich - tatsächlich oder vermeintlich - der statistischen Beschreibbarkeit entziehende Natur des Menschen darauf verzichtet, datengetriebene Entscheidungslogiken systematisch zu übernehmen.

Für den EU-Raum und zumal für Deutschland bleibt allerdings abzuwarten, ob die notwendigen Datengrundlagen überhaupt entsprechend genutzt werden dürfen. Die Frage, welche Daten in welchen Systemen zu welchem Zweck und nach welchen Logiken verarbeitet werden dürfen, wird in der Auseinandersetzung zwischen L&D und Betriebsräten vermutlich einen immer größeren Stellenwert einnehmen. 

Wie Unternehmen beim KI-Einsatz aufgestellt sind 

Betrachtet man die sich abzeichnenden Schwerpunktsetzungen horizontal und damit im Vergleich zwischen den einzelnen Zeithorizonten (bereits im Einsatz, aktuell in Arbeit, mittelfristig) zeigt sich: Am Einsatzszenario der Nutzung von KI für die Produktion von Lerninhalten, dem Unternehmen aktuell den größten Wert zumessen, können viele Unternehmen bereits arbeiten beziehungsweise setzen hierfür KI bereits in begrenztem Maße ein. Gleiches gilt für die Übersetzung von Lerninhalten. Bei den anderen, mittelfristig am stärksten gewichteten Szenarien sind die meisten Unternehmen heute noch nicht in der Lage, erste Lösungen einzusetzen. Dies betrifft insbesondere: 

KI-basierte intelligente Vorschläge von Lernangeboten/-pfaden
Hier klaffen mittelfristige Erwartungen und aktueller Einsatz oder laufende Projekte am eklatantesten auseinander. Offenbar liegen für solche Lösungen – wie einem wirklich wertstiftenden L&D-Chatbot – noch nicht die notwendigen technischen Ansätze vor. 

KI-gestützte Analyse von L&D-Daten
Gemessen an der erwarteten mittelfristigen Bedeutung erscheint es erstaunlich, dass nicht bereits heute mehr Gebrauch von KI bei der Auswertung von L&D-Daten gemacht wird, zumal die Tools hierfür schon vorzuliegen scheinen. 

Identifikation und Priorisierung von L&D-Bedarfen
Gerade für die KI-basierte Identifikation und Priorisierung von Lernbedarfen wären personenscharfe Performance-Daten notwendig, deren Erhebung und automatisierte Verarbeitung zahlreiche Datenschutz- und Mitbestimmungsfragen berühren.  Vor dem Hintergrund dieser Ergebnisse erscheint es geboten, dass Learning & Development die Experimentierphase, in der KI vor allem opportunistisch genutzt wurde und getrieben von Begeisterung und Engagement einzelner erste Einsatzszenarien erprobt wurden, abzuschließen und das Thema strategischer anzugehen. 

Welchen Beitrag kann L&D mit KI leisten?

Ausgangspunkt sollte dabei die Vorstellung sein, mit welchen Leistungen L&D in einer stark von Künstlicher Intelligenz geprägten Arbeitswelt voraussichtlich den größten Beitrag leisten können wird und welche neue Rolle von L&D sich dabei abzeichnet.

Wir haben dazu eine Reihe von Hypothesen entwickelt. So gehen wir davon aus, dass KI den sich seit Jahren abzeichnenden Rollenwandel von L&D beschleunigen wird. Die Rolle von L&D wird immer stärker die Gestaltung und Weiterentwicklung einer selbstverständlichen Kultur des Lernens im Alltag sein, die mit KI neue Formen und Tools finden wird. Das bislang stark dominante Lernportfolio, an dessen Entwicklung, Steuerung und Auslieferung L&D-Abteilungen ihre Arbeit und ihre Budgets stark festgemacht haben, tritt zugunsten hochgradig individualisierter, fluider und vielfach KI-generierter Lernimpulse in den Hintergrund.

Der Fokus von L&D verlagert sich damit von der Ebene "Content" auf die Ebene "Context". Hier sollte die Frage beantwortet werden, welche Normen, Haltungen, Rahmenbedingungen und Routinen notwendig oder hilfreich sind, um Lernen im Arbeitsalltag nachhaltig zu verankern. Die Gestaltung von "Learning-Rich Work" als eine Form der Arbeit, die so angelegt ist, dass sie mit kontinuierlichem Lernen – individuell als Person und als Team – einhergeht, gewinnt als Leitvorstellung immer mehr Kontur. Unsere Empfehlung lautet daher ganz klar, sowohl die Klärungsbedarfe auf der strategischen Ebene als auch auf der operativen Ebene in den Blick zu nehmen. 

KI stellt L&D vor vielfältige Herausforderungen

Auf der strategischen Ebene sind folgende Fragen zu beantworten:

  • Mit welchen Leistungen wird Learning & De­ve­lopment in einer stark von KI ge­präg­ten Arbeitswelt den größten Beitrag leisten können?
  • Wie wird sich die Rolle von Learning & Development im Unter­nehmen durch Künst­liche Intelligenz verändern?
  • Wie könnten im Zusammenwirken mit dem Sozialpartner aussagekräftige Versuchs­felder für weitreichende KI-Einsatz­szenarien in Learning & Development geschaffen werden?
  • Welche wesentlichen Herausforderungen für den Einsatz wirklich mehrwertstiftender KI-Lösungen innerhalb von L&D zeichnen sich heute bereits ab? Und wie könnte eine Road­map aussehen, um an diesen Heraus­forderungen zu arbeiten?

Auf der operativen Ebene geht es um Antworten auf folgende Fragen:

  • Wie können wir diese Arbeitsweise heute bereits erproben und erlernen und beispiels­weise Prototypen von KI-Lösungen ent­wickeln, die uns bei dieser Form der Arbeit in Learning & Development unter­stützen?
  • Wie können wir die Arbeitnehmervertretung und andere Stakeholder in die Debatte ein­binden und daran beteiligen?
  • Wie können wir innerhalb von L&D heute bereits KI-Kompetenzen aufbauen und Anschluss an die Fachdebatte gewinnen?

Eine neue Rolle für L&D

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass L&D-Abteilungen KI bislang noch eher opportunistisch und wenig strategisch nutzen, das zeigt unsere Studie ganz deutlich. Die KI-Nutzung innerhalb von L&D ist darüber hinaus noch sehr darauf gerichtet, mehr vom Gleichen zu liefern, und dies noch schneller und günstiger. Sprich: Lerninhalte mit KI einfach und zügig zu generieren beziehungsweise zu übersetzen. 

Implizit wird noch sehr stark von einer grundsätzlichen Fortführung des bisherigen Rollenverständnisses von L&D ausgegangen. So scheint weniger das Bemühen um eine Steigerung der Effektivität von Lernangeboten vorzuherrschen, als vielmehr der Wunsch, Effizienzgewinne innerhalb von L&D zu erzielen. Vor diesem Hintergrund empfehlen wir L&D-Abteilungen, das Thema strategischer anzugehen und grundlegender zu reflektieren, wie sich die Rolle von L&D durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz, insbesondere generativer KI, in allen Unternehmensbereichen und -funktionen wandeln wird und mit welchen Schritten sich L&D-Professionals diesem Zielbild heute bereits annähern können.


Dieser Beitrag ist erschienen in neues lernen, Ausgabe 4/2024, das Fachmagazin für Personalentwicklung. Lesen Sie das gesamte Heft auch in der App personalmagazin - neues lernen.

Zum Download: An der Studien haben sich 25 Unternehmen beteiligt. Die Zahlen in der Tabelle entsprechen den Angaben der Unternehmen und zeigen, wie viele der befragten Unternehmen in welchen Bereichen KI in L&D bereits einsetzen, aktuell daran arbeiten oder mittelfristig planen mit den am häufigsten genannten Einsatzbereichen.

Teilnehmende Unternehmen:
Adesso, AOK Nord West, Bayernwerk, Bundes­agentur für Arbeit, Continental, Datev, dm-Drogerie­markt, Dr. Ing. h.c. F. Porsche, ECE, Ergo, Erste Bank, Ikea, Lanxess, Lech­werke, LVM, Maiborn Wolff, PD – Berater der öffent­­lichen Hand, Rewe, Schweizerische Post, Swiss International Air Lines, USU Software, Victorinox sowie ein globales Versicherungs­- und ein Tech­no­logieunternehmen und die In-House Beratung eines Dax-Kon­zerns.


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