Dr. Mathias Grandel
Mit den Regelungen zur Anordnung der sofortigen Wirksamkeit in Unterhaltssachen verfolgte der Gesetzgeber das Ziel, die Interessen des Unterhaltsgläubigers zu stärken. Es drängt sich jedoch der Eindruck auf, dass Gesetzgeber und Praxis über das Ziel hinausgeschossen sind. Die sofortige Wirksamkeit des Beschlusses in Unterhaltssachen "soll" gem. § 116 Abs. 3 S. 3 FamFG angeordnet werden. "Soll" meint nicht "stets". Es hat in der Praxis jedoch eine Automatik Platz gegriffen, Unterhaltsbeschlüsse in vollem Umfang für sofort wirksam zu erklären. Dabei gibt die Gesetzesbegründung zum FamFG durchaus Anlass zu differenzierter Betrachtung. Die Anordnung der sofortigen Wirksamkeit kann auf Teile der Unterhaltsverpflichtung beschränkt werden. Die Gesetzesbegründung nennt als Beispiel, dass rückständiger Unterhalt von der sofortigen Wirksamkeit ausgenommen werden soll. Für die Anordnung der sofortigen Wirksamkeit der Hauptsacheentscheidung gibt es keinen Grund, wenn bereits eine einstweilige Anordnung ergangen ist. Auch bei Unterhaltsansprüchen, die auf die Staatskasse übergegangen sind, stellt sich die Frage, ob der Staatskasse nicht zuzumuten ist, bis zur Rechtskraft der Entscheidung zuzuwarten. Es wäre zu wünschen, dass die Praxis genauer hinsieht und die Fälle ausnimmt, in denen die sofortige Wirksamkeit zur Sicherung des Lebensunterhalts des Unterhaltsberechtigten nicht notwendig ist.
Die Misere setzt sich bei den Möglichkeiten zur Einstellung und Beschränkung der Vollstreckung fort. Rechtsprechung und Literatur sind uneinheitlich. Zum Teil hält die Rspr. einen Einstellungsantrag, der erstmals in der Beschwerdeinstanz gestellt wird, schon für unzulässig und schließt einen Unterhaltsschuldner schon mit rein formaler Begründung, die sich aus der Vorschrift gar nicht ergibt, von jeglichem Schutz aus. Die Einstellung der Vollstreckung ist nur möglich, um einen nicht zu ersetzenden Nachteil für den Pflichtigen abzuwenden. Verlangt wird z.T., dass durch die Vollstreckung auf Seiten des Schuldners irreparable Folgeschäden eintreten würden. In der Rspr. wird z.T. kein Nachteil in dem Fall gesehen, dass der Schuldner vom vermögenslosen und unpfändbaren Unterhaltsempfänger einmal bezahlte Beträge nicht mehr zurückerlangen wird, wenn sich im Beschwerdeverfahren herausstellt, dass in erster Instanz zu viel Unterhalt zugesprochen worden war. Der Verweis darauf, der Verpflichtete könne ja seine Beschwerde mit einem hilfsweisen Rückforderungsantrag verbinden, hilft nicht weiter, weil er zwar den Entreicherungseinwand ausschließt, an der mangelnden Vollstreckbarkeit der Rückzahlungsverpflichtung aber nichts ändert. Der dauerhafte Verlust zu Unrecht in erster Instanz zugesprochenen Unterhalts darf nicht als Kollateralschaden eines gläubigerfreundlichen Vollstreckungsrechts hingenommen werden. Deswegen ist es auch nicht verständlich, dass nach wohl überwiegender Ansicht die Erfolgsaussichten der eingelegten Beschwerde grundsätzlich keine Rolle für die Einstellungsentscheidung spielen. Soll ein Beschwerdegericht quasi sehenden Auges, dass die Beschwerde ganz oder zum großen Teil begründet ist, gezwungen sein, die Einstellung der Vollstreckung zu versagen, solange der Geldverlust für den Schuldner noch nicht existenzbedrohend und irreparabel ist?
§ 120 Abs. 2 S. 2 FamFG lässt nach h.M. keine Einstellung gegen Sicherheitsleistung mehr zu; für § 120 Abs. 2 S. 3 FamFG i.V.m. § 719 ZPO bei Einleitung eines Beschwerdeverfahrens ist es streitig. Andererseits ist bei Abänderungsverfahren gem. § 242 S. 1 FamFG, § 769 ZPO die Einstellung gegen Sicherheitsleistung anerkannt. Ein sachlicher Grund für diese Differenzierung findet sich schwerlich. Eine Regelung zur Vollstreckbarkeit vor Rechtskraft ist nur ausgewogen, wenn sie den Unterhaltsverpflichteten davor schützt, letztlich nicht geschuldete Geldzahlungen dauerhaft zu verlieren. Denkbar wäre, die Möglichkeit der Sicherheitsleitung auch im Rahmen des § 120 Abs. 2 FamFG wieder zu eröffnen. Das lässt flexible Lösungen zu. Auch die Erfolgsaussicht der Beschwerde kann nicht außer Betracht bleiben, wenn man angemessene Ergebnisse erzielen will. Je restriktiver man die Einstellung der Vollstreckung handhabt desto eher ist auch daran zu denken, die Aufrechnung mit Rückforderungsansprüchen gegen künftigen Unterhalt zu eröffnen.
Autor: Dr. Mathias Grandel
Dr. Mathias Grandel, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Familienrecht, Augsburg
FF 7/2014, S. 265