Die Entscheidung des Gesetzgebers stellt somit einen Kompromiss dar. Nun kennzeichnet es im Allgemeinen einen solchen, dass niemand restlos zufrieden mit dem Ergebnis ist. Aus der Sicht der Wahrung des Rechtsschutzes für die Betroffenen ist immerhin positiv zu vermerken: Eine drittinstanzliche Kontrolle in den Kernbereichen des Betreuungs- und Unterbringungsrechts wird nicht dadurch faktisch ausgeschlossen, dass ihre Inanspruchnahme die hohe Hürde einer Zulassung durch die zweite Instanz überwinden muss. Wenn etwa in einem Einzelfall der BGH rügt, dass das Landgericht pflichtwidrig eine persönliche Anhörung des Betroffenen unterlassen habe und die Betreuungs- bzw. Unterbringungssache deshalb zurückverweist, ist dies sicherlich ein Gewinn für den Rechtsschutz im Einzelfall. Dasselbe gilt dann, wenn das Rechtsbeschwerdegericht mit derselben Folge die Art des Zustandekommens oder der Verwertung eines betreuungs- bzw. unterbringungsrechtlichen Gutachtens beanstandet. Mit fast an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ist anzunehmen, dass es jeweils hierzu nicht gekommen wäre, wenn die Anrufung des BGH die Zulassung der Rechtsbeschwerde durch das Landgericht vorausgesetzt hätte. Denn dieses hätte in der Annahme, in seinem Verfahren vermeintlich richtig vorgegangen zu sein, wohl kaum Anlass gesehen, die Rechtsbeschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen.
Andererseits ist aber der Zugang zum Rechtsbeschwerdegericht für die Betroffenen keineswegs niederschwellig, da er die Vertretung durch einen beim BGH zugelassenen Anwalt voraussetzt. Diese Voraussetzung erfüllen viele Beschwerdeführer nicht, die den BGH deshalb mit unzulässigen oder aus anderen Gründen unstatthaften Beschwerden überschwemmen. Nach einer dem Verfasser bekannt gewordenen Zählung des Vorsitzenden des XII. Zivilsenats des BGH sind im Jahr 2013 insgesamt 426 Verfahren eingegangen, die Betreuungen, Unterbringungen, Zwangsbehandlungen und Betreuerkosten betreffen. Diese Zahl, die in der Senatsstatistik nicht gesondert ausgewiesen wird, dürfte auch auf die Jahre seit 2010 annähernd zutreffen. Nur ein kleinerer Teil davon dürfte überhaupt statthaft bzw. in zulässiger Form eingelegt worden sein.
In den sonstigen Verfahren, die tatsächlich aufgrund der Zulassung durch das Landgericht zu einer Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht führen, kommt es gehäuft zu merkwürdigen Blüten: So ist es wohl kaum sinnvoll, dass sich der BGH mit der Höhe des dem Berufsbetreuer gem. §§ 4, 5 VBVG zu vergütenden Stundensatzes auseinandersetzen muss. Bedarf es wirklich einer Befassung des höchsten deutschen Gerichts in Zivilsachen, um etwa dem Landgericht zu bescheinigen, dass es zu Recht einer Berufsbetreuerin die oberste Vergütungsstufe des tätigkeitsrelevanten Stundensatzes versagt habe, weil diese in ihrem Studium mit dem Abschluss "Diplom-Agraringenieur" keine für die Betreuung verwertbaren Kenntnisse erworben habe angesichts der von ihr belegten Fächer "Morphologie, Futterproduktion, Biochemie, Gesundheits-, Arbeits- und Brandschutz, Maschinentechnik, Tierernährung, Tiergesundheits- und Tierseuchenlehre, Haustiergenetik und Tierzüchtung, Rinderzucht, Schafzucht, Schweinezucht, Geflügel- und Kleintierzucht"? Ebenso fraglich ist, ob der BGH grundsätzlich die Höhe der erstattungsfähigen Kopierkosten (!) eines Verfahrenspflegers bestimmen muss. Seit Inkrafttreten des FamFG sind allein in JURIS nach Zählung des Verfassers 43 Entscheidungen des XII. Senats veröffentlicht worden, die sich mit Fragen der Vergütung bzw. des Aufwendungsersatzes für Betreuer und Verfahrenspfleger in Betreuungs- bzw. Unterbringungssachen befassen.
Nach mehr als fünfjähriger Erfahrung mit dem geltenden Recht ist die Frage berechtigt, ob die Ausgestaltung der drittinstanzlichen Kontrolle von Betreuungs-, Unterbringungs- und Freiheitsentziehungssachen wirklich der Weisheit letzter Schluss war. Sie zwingt den XII. Zivilsenat des BGH,
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jährlich eine verhältnismäßig große, dreistellige Zahl von unzulässigen Rechtsbeschwerden abzuarbeiten, |
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in den tatsächlich ordnungsgemäß eingeleiteten zulassungsfreien Rechtsbeschwerdeverfahren entgegen seiner eigentlichen Aufgabe nicht Grundsatzfragen zu klären, sondern einzelfallbezogen akribisch das Zustandekommen der landgerichtlichen Entscheidung zu überprüfen, |
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in den auf bindende Zulassung zu ihm gelangten Verfahren vor allem zu Vergütungsfragen des Betreuungs- und Unterbringungsrechts sich mit Detailfragen zu befassen, bei denen sich Zweifel aufdrängen, ob hierfür wirklich eine Klärung durch das oberste Zivilgericht angemessen ist. |
Insbesondere die beiden zuerst genannten Punkte wurden bei den Schlussberatungen im Bundestag durchaus gesehen. Einer der Berichterstatter, MdB Stünker, führte hierzu in der zweiten und dritten Lesung des Gesetzes am 27.6.2008 aus:
Zitat
"Dafür, dass es im Ergebnis zulassungsfrei geworden ist, müssen wir noch einen Bußgang zum Bundesgerichtshof tun...