Forum Abstammungsrecht der Arbeitsgemeinschaft Familienrecht am 17.6.2016 in Berlin
Das komplexe Thema der Herkunft – vor dem Hintergrund der Reproduktionsmedizin, Samen- und Eizellspende und Leihmutterschaft – wurde mit Experten aus verschiedenen Fachrichtungen diskutiert. Der Reformbedarf nicht nur des Abstammungsrechts wegen des Auseinanderfallens von biologischer, sozialer und rechtlicher Elternschaft ist offensichtlich.
"Mit dem Abstammungsrecht verhandeln wir Juristen nicht weniger als die Frage, von wem wir rechtlich abstammen und welche Rechte und Pflichten wir daraus ableiten wollen", sagte Rechtsanwältin Eva Becker, Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Familienrecht, die unter den zahlreichen Gästen neben ihren Anwaltskollegen auch Politikerinnen aus dem Bundestag, Ministerialbeamte aus dem BMJV und Richterinnen und Richter aus den höchsten Gerichten begrüßte.
Das Thema wurde aus verschiedenen Blickwinkeln sehr differenziert behandelt. Prof. Dr. med. Heribert Kentenich von der Humboldt-Universität Berlin stellte das Problem der Samenspende, der Eizellspende und der Leihmutterschaft nicht nur aus medizinischer Sicht dar, sondern auch aus psychosozialer Perspektive. Für Frauenärzte und Reproduktionsmediziner sei wegen der besonders sensiblen Beratungssituation, die weit über das rein medizinische hinausgehe, eine psychotherapeutische Ausbildung notwendig. Der Arzt sei kein Klempner für Ei- und Samenzellen, er behandele Paare, homosexuelle und heterosexuelle Paare oder alleinstehende Frauen. Und da müsse er auch denen zur Seite stehen, denen der Kinderwunsch nicht erfüllt werden könne, auch nicht durch Reproduktionsmedizin. Die Eizellspende, in vielen europäischen Staaten erlaubt, ist hierzulande verboten und kann sogar mit Freiheitsentzug bestraft werden. Daraus ergäben sich auch viele rechtliche Probleme für die Ärzteschaft. So gehen Frauen aus Deutschland etwa zu 2.000 bis 3.000 Behandlungszyklen pro Jahr ins Ausland. Wenn eine Frau dann vorher zum Arzt hierzulande kommt und sagt, sie brauche als Voraussetzung für ihre Behandlung im Ausland eine Hormonuntersuchung, sei es unklar, ob das schon als Beihilfe zu einer Straftat gewertet werden müsse. Kentenich wünscht sich von der Politik weniger Eingriffe in die Patientenautonomie und eine bessere Beratungskultur. Das Zusammenspiel der behandlungsabhängigen Beratung, zuständig ist der Arzt, mit der behandlungsunabhängigen Beratung, das sind die psychosozialen Beratungsstellen, sei noch nicht optimal geregelt.
Prof. Dr. Claudia Wiesemann, Direktorin des Instituts für Ethik und Geschichte der Medizin, Universität Göttingen, fragte, "wer sind die 'richtigen' Eltern eines Kindes, die spendenden oder die Eltern, die sich das Kind wünschen und dann aufziehen?". Sie meint, die Interessen des verheirateten Paares seien privilegiert, während die Kindesinteressen nur in reduzierter Form berücksichtigt würden. In diesem Zusammenhang sprach sie vor allem von der Fürsorge für das Kind, über die Zuverlässigkeit der Beziehungen, die Anerkennung von "personaler Identität und leiblicher Zugehörigkeit". Wichtig sei es, die Vielfältigkeit der Herkunft anzuerkennen und damit auch zu entstigmatisieren. Die frühzeitige Information der Kinder über ihre Herkunft sei unabdingbar. Für Kinder oder junge Erwachsene, die erst spät erfuhren, dass ihre sozialen und rechtlichen Eltern gar nicht ihre leiblichen Eltern sind, war es ein Schock. Das belegen zahlreiche empirische Studien weltweit.
Dr. jur. Philipp M. Reuß, MJur (Oxon), Institut für Internationales Recht – Rechtsvergleichung an der Ludwig-Maximilians-Universität München, gab einen Überblick darüber, wie die verschiedenen Rechtsordnungen mit der Problematik umgehen. So wird zum Beispiel nach englischem Recht bei lesbischen Paaren neben der leiblichen Mutter die Partnerin als "Co-Mutter" entweder durch automatische Zuordnung oder durch "Declaration of Parentage" weiterer rechtlicher Elternteil des Kindes. Eine Situation, von der wir hierzulande noch weit entfernt sind, wie der Vortrag über die deutsche Rechtslage von Rechtsanwalt und Notar Wolfgang Schwackenberg, Oldenburg, zeigte. Auch deswegen seien Reformen angesagt, konstatierte Rechtsanwältin Eva Becker. So müsse zum Beispiel die Frage gestellt werden, ob Eizellspenden weiterhin strafrechtlich zu verbieten sind oder ob man diese Entscheidung den Frauen selbst überlassen sollte.
In der Podiumsdiskussion, an der auch Ministerialrätin Dr. Daniela Goerdeler vom BMJV teilnahm, ging es unter anderem darum, ob alleinstehenden Müttern die Reproduktionsmedizin verwehrt werden solle, weil das Kind ein Recht auf zwei Eltern habe. Dann müsse man ja auch alle Kinder von alleinstehenden Frauen, die sich weigern, den Vater preiszugeben, in Obhut nehmen, wurde aus dem Publikum angemerkt und die Frage gestellt, welche Rolle der Staat in einer Gesellschaft gegenüber der Familie hat. Soll er Gefahren abwehren oder sich wie eine Gouvernante für bestimmte Lebenskonzeptionen gerieren? Besonders sc...