rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorsteuerabzug für den Warenbezug des an einem Umsatzsteuerkarusell beteiligten „Buffer II”. Aufhebung der Vollziehung von Umsatzsteuer 1999, 2000 sowie der Umsatzsteuervoranmeldungen 01, 02/2001
Leitsatz (redaktionell)
1. Es ist nicht ernstlich zweifelhaft, dass auch im Rahmen eines betrügerischen europaweiten Umsatzsteuerkarusells (hier: mit Computerteilen) einem sogenannten „Buffer II”, der die Waren von anderen Buffern bezieht und mit einem Gewinnaufschlag an weitere, am Karusell beteiligte Firmen, u.a. den Distributor, verkauft, der Vorsteuerabzug hinsichtlich der bezogenen Waren zusteht. Das gilt jedenfalls dann, wenn die Selbständigkeit des Buffer II nicht ernsthaft bezweifelt werden kann und tatsächlich Lieferungen erfolgt sind (hier: Aussetzung der Vollziehung, Aufhebung der vom FA verlangten Sicherheitsleistung).
2. Es verstößt gegen den vom Amts wegen zu beachtenden Grundsatz der Neutralität der Umsatzsteuer, wenn das FA sich nicht auf den Steuerausfall durch die Nichtentrichtung der Umsatzsteuer durch den Lieferanten („missing trader”) beschränkt, sondern den nachfolgenden Gliedern in der Lieferkette des Karusells sowohl den Vorsteuerabzug versagt als auch die ausgewiesene und abgeführte Umsatzsteuer als nach § 14 Abs. 3 UStG geschuldet behandelt.
Normenkette
UStG 1999 § 15 Abs. 1 Nr. 1, § 14 Abs. 3, § 3 Abs. 1, § 2; FGO § 69 Abs. 2 S. 3, Abs. 3 S. 1; EWGRL 388/77 Art. 17, 4; UStG 2002 § 25d
Nachgehend
Tenor
1. Die Vollziehung der geänderten Umsatzsteuerbescheide 1999 und 2000 vom 04. Juli 2003 sowie der geänderten Umsatzsteuervorauszahlungsbescheide für Januar und Februar 2001 vom 07. Juli 2003 wird ohne Erbringung einer Sicherheitsleistung von der Vollziehung ausgesetzt; soweit die geänderten Umsatzsteuerbescheide in Höhe von EUR 879.422,– bereits vollzogen sind, wird die Aufhebung der Vollziehung angeordnet.
2. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Beschluss ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Der Antragsgegner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung des mit Kostenfestsetzungsbeschluss angesetzten Betrages abwenden, wenn nicht die Antragstellerin vor der Vollstreckung Sicherheit leistet.
4. Der Antrag auf Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird zurückgewiesen.
5. Die Beschwerde wird zugelassen.
Tatbestand
I.
Bei der Antragstellerin (ASt) handelt es sich um eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Sie wurde im Jahr 1997 gegründet und ins Handelsregister eingetragen. Das Stammkapital beträgt DM 50.000,– Alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer ist Herr … Gegenstand des Unternehmens ist laut Gewerbeanmeldung und Gesellschaftsvertrag der Handel mit Computerteilen.
Aufgrund einer Prüfung der Steuerfahndungsstelle (Steufa) beim Finanzamt … (Ermittlungsverfahren „…”) und den daraus resultierenden Feststellungen (vgl. Strafrechtlicher und steuerlicher Ermittlungsbericht vom 05. Dezember 2002, Bl 6 ff der Steuerfahndungsakte) erließ der Antragsgegner (Ag) mit Datum vom 04. Juli 2003 geänderte Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 1999 und 2000 sowie mit Datum vom 07. Juli 2003 geänderte Bescheide über die Festsetzung der Umsatzsteuer-Vorauszahlung für die Monate Januar und Februar 2001. Die Änderungen erfolgten wegen nach den Ermittlungen der Steufa nichtabzugsfähigen Vorsteuern (keine Lieferungen im Sinne des Umsatzsteuergesetzes mangels Verschaffung der Verfügungsmacht) in Höhe von DM 20.071.462,08 (ger. EUR 10.262.376,–) im Jahr 1999, DM 20.777.535,11 (ger. EUR 10.623.385,–) im Jahr 2000 und DM 2.095.858,12 (ger. EUR 1.071.595,–) bei den Voranmeldungen für die Monate Januar und Februar 2001. Die in den Ausgangsrechnungen ausgewiesene und entrichtete Umsatzsteuer blieb unverändert, da die Umsatzsteuer aus den Ausgangsrechnungen nach § 14 Abs. 3 Satz 2, 2. Alt. Umsatzsteuergesetz (UStG) i.V.m. § 13 Abs. 2 Nr. 4 UStG geschuldet werde. Hieraus resultierten Nachzahlungsansprüche zu Lasten der ASt in Höhe von EUR 10.262.375,46 zuzüglich Zinsen in Höhe von EUR 1.385.417,00 für das Jahr 1999, EUR 10.616.077,56 zuzüglich Zinsen in Höhe von EUR 560.602,00 für das Jahr 2000 sowie EUR 1.071.594,82 für die Monate Januar und Februar 2001.
Nach den Ermittlungen der Steufa hat sich die ASt an einem betrügerischen europaweiten Umsatzsteuerkarussell beteiligt. Die ASt nahm innerhalb des Karussells die Stellung eines sog. Buffers II ein. Sie bezog dabei ihre Waren nahezu ausschließlich von einem anderen Buffer (Firma … GmbH) und verkaufte sie an weitere, an dem Karussell beteiligte Firmen, insbesondere an die Firma … AG als sog. Distributor. Hierbei ist es nach Berechnungen der Steufa auch zu Doppel- und Mehrfachdurchläufen derselben Ware gekommen (über den gesamten Prüfungszeitraum berechnete sie, dass 10 Prozent der gehandelten Waren nicht nur einmal, sondern mehrfach bezogen und weiterverkauft wurden). Nach den Feststellungen...