Entscheidungsstichwort (Thema)
Abzweigung von Kindergeld an den Sozialleistungsdträger für behindertes volljähriges Kind. Ermessensentscheidung der Familienkasse
Leitsatz (redaktionell)
1. Entstehen dem Kindergeldberechtigten Aufwendungen für das volljährige behinderte Kind mindestens in Höhe des Kindergeldes, kommt eine Abzweigung an den Sozialleistungsträger nicht in Betracht.
2. Sind die Aufwendungen geringer oder nicht mehr exakt ermittelbar, kann eine teilweise Abzweigung des Kindergelds in Betracht kommen.
3. Der Ansatz fiktiver Kosten ist ausgeschlossen, so dass bei der Berechnung der Aufwendungen der Eltern für die die Besuche des Kindes im Behindertenheim eine Anlehnung an den Sozialhilferegelsatz ausscheidet.
4. Der Umstand, dass die Familienkasse das Kindergeld bereits an den Sozialleistungsträger ausgezahlt hat, stellt keine zulässige Ermessenserwägung hinsichtlich der Höhe des Abzweigungsbetrages dar, wenn der Kindergeldberechtigte gegen die Abzweigung rechtzeitig Einspruch erhoben hatte und die Möglichkeit bestanden hätte, das Kindergeld vorläufig einzubehalten.
Normenkette
EStG § 74 Abs. 1 Sätze 1, 4, § 66; AO § 5; FGO § 102
Nachgehend
Tenor
1. Der Bescheid der Beklagten vom 27. Juni 2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 14. Dezember 2007 wird insoweit aufgehoben, als die Beklagte die Abzweigung in der Einspruchsentscheidung nicht rückwirkend ab Juli 2007 auf 77 EUR beschränkt hat. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu drei Vierteln und die Beklagte zu einem Viertel. Der Beigeladene behält seine außergerichtlichen Kosten auf sich.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin ist die Mutter der im Jahre 1963 geborenen, körperlich und geistig behinderten (Grad der Behinderung: 100 v.H.; Merkzeichen: „G”) X, die in einer Einrichtung für körperlich und geistig behinderte Menschen, der Q e.V. in A, untergebracht ist. Die Klägerin leistete jedenfalls bis September 2008 einen Unterhaltsbeitrag von 26 EUR monatlich und bezog für ihre Tochter Kindergeld.
Der Beigeladene, der im Rahmen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen die Kosten der Betreuung der Tochter im Wohnheim der Q übernimmt, beantragte mit Schreiben vom 30. Mai 2007 die Abzweigung des zu Gunsten der Klägerin festgesetzten Kindergelds.
Mit Bescheid vom 27. Juni 2007 entsprach die Beklagte dem Abzweigungsantrag in Höhe von 128 EUR monatlich ab Juli 2007.
Die Klägerin legte hiergegen am 9. Juli 2007 Einspruch ein, den sie damit begründete, dass sie für ihre Tochter in ihrer Mietwohnung immer ein Zimmer bereit halte, das von dieser bei ihren regelmäßigen Besuchen auch genutzt werde. Die Tochter leide unter verschiedenen ernsthaften Erkrankungen und werde von ihr auch bei Besuchen im Urlaub, an Feiertagen und während Krankheitszeiten usw. betreut. Die Tochter werde von ihr auch bei der Anschaffung von Kleidung (bei der diese wegen ihrer körperlichen Erscheinung einen höheren Aufwand habe) unterstützt. Die Klägerin besuche ihre Tochter regelmäßig in der Wohneinrichtung. Außerdem legte die Klägerin eine Bescheinigung der Q e.V. vom 31. Juli 2007, ein ärztliches Attest der Dr. Y vom 2. August 2008 und Kopien von Rechnungen und Kassenzetteln vor auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird (Bl. 132 bis 137 d. Finanzgerichts – FG – Akte).
In der Einspruchsentscheidung vom 14. Dezember 2007 änderte die Beklagte den Abzweigungsbescheid dahingehend ab, dass ab Dezember 2007 eine Abzweigung von monatlich 77 EUR an das Landratsamt B erfolgte und wies den Einspruch im Übrigen als unbegründet zurück. Die Voraussetzungen einer Abzweigung nach § 74 Abs. 1 EStG lägen vor, weil die Klägerin ihre gesetzliche Unterhaltspflicht lediglich mit einem Betrag erfülle, der geringer als das Kindergeld sei. Im Rahmen des der Familienkasse eingeräumten Ermessens werde der von der Klägerin gewährte Unterhalt pauschal berücksichtigt und die Hälfte des Kindergeldes abgezweigt.
Die Klägerin hat hiergegen am 17. Januar 2008 Klage erhoben. Diese wird damit begründet, dass die Klägerin das gesamte Kindergeld von 154 EUR monatlich für ihre Tochter verbraucht habe. Für die Tochter bestehe ein Mehrbedarf, weil die Klägerin jedes zweite Wochenende mit der Bahn zu ihrer Tochter nach A fahre, um diese über das Wochenende (Freitag bis Sonntag) zu sich nach C zu holen, wo sie die Tochter entsprechend mit Essen und Trinken versorge. Die Tochter verbringe auch Weihnachtsund Osterferien regelmäßig bei der Klägerin. Darüber hinaus besuche die Klägerin ihre Tochter in Krankheitsfällen regelmäßig in A. Außerdem begleite sie ihre Tochter, die nach einer Brustkrebsoperation zu regelmäßigen Nachsorgeuntersuchungen gehen müsse, zu diesen Arztbesuchen, was ebenfalls Kosten verursache. Die Klägerin schätze diese Aufwendungen auf mehr als 154 EUR monatlich, zumal sie zwischenzeitlich für die Tochter nur diät...