rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Monatliche Zinshöhe der Aussetzungszinsen in Höhe von 0,5 % (§ 237 AO in Verbindung mit § 238 Abs. 1 Satz 1 AO) nicht verfassungswidrig
Leitsatz (redaktionell)
Die monatliche Zinshöhe der Aussetzungszinsen in Höhe von 0,5 % (§ 237 AO im Verbindung mit § 238 Abs. 1 Satz 1 AO) ist verfassungsgemäß, weil die Entstehung von Aussetzungszinsen von einem Antrag und damit einem Verhalten des Steuerpflichtigen abhängig ist. Nach BVerfG, Beschluss v. 8.7.2021, 1 BvR 2237/14 und BVerfG, Beschluss v. 8.7.2021, 1 BvR 2422/17, ist lediglich die sogenannte Vollverzinsung (§ 233a AO in Verbindung mit § 238 Abs. 1 Satz 1 AO) für alle Verzinsungszeiträume ab dem 1.1.2014 mit dem Grundgesetz unvereinbar; eine Erstreckung der Unvereinbarkeitserklärung auf die anderen Verzinsungstatbestände nach der Abgabenordnung, namentlich auf Stundungs-, Hinterziehungs- und Aussetzungszinsen nach den §§ 234, 235, 237 AO, kommt nicht in Betracht.
Normenkette
AO §§ 233a, 237 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1, § 238 Abs. 1 Sätze 1-2
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig sind Aussetzungszinsen zur Umsatzsteuer für 2012 bis 2015 (Streitjahre).
1. Der Kläger erzielt gewerbliche Einkünfte aus (…) und (…).
2. Für die Streitjahre wurden Außenprüfungen (Bp) durchgeführt (Bp-Berichte vom 20.10.2017 und 10.4.2019).
Wegen formeller Buchführungsmängel wurden die erklärten Umsätze zunächst jeweils um 50.000 Euro erhöht (vgl. die Umsatzsteuerbescheide vom 13.11.2017 für 2012 und 2013 sowie vom 20.5.2019 für 2014 und 2015, …).
3. Mit Schreiben vom 17.11.2017 legte der Kläger gegen die Umsatzsteueränderungsbescheide für 2012 und 2013 Einspruch ein und beantragte die Aussetzung der Vollziehung (AdV; FA-Akte, …).
Die AdV wurde mit Verfügung vom 22.11.2017 vom Fälligkeitstag an (18.12.2017) i.H. von jeweils 9.500 Euro gewährt.
Gegen die Umsatzsteueränderungsbescheide für 2014 und 2015 legte der Kläger mit Schreiben vom 24.5.2019 ebenfalls Einspruch ein und beantragte deren AdV.
Die AdV wurde mit Verfügung vom 5.6.2019 vom Fälligkeitstag an (24.6.2019) i.H. von 9.831,17 Euro (2014) und 9.819,20 Euro (2015) gewährt.
Die AdV war jeweils befristet und endete einen Monat nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung (FA-Akte, …).
4. Die Einsprüche wurden mit Einspruchsentscheidungen vom 31.5.2019 (für 2012 und 2013) und vom 31.5.2021 (für 2014 und 2015) als unbegründet zurückgewiesen (…).
5. Der Kläger erhob hiergegen Klage.
In den Verfahren 10 K 1650/19 (Einkommensteuer), 10 K 1673/19 (Gewerbesteuermessbetrag) sowie 1 K 1648/19 (Umsatzsteuer) verständigten sich die Beteiligten vor dem Finanzgericht (FG) Baden-Württemberg darauf, die jährlichen Hinzuschätzungen jeweils um 20.000 Euro für 2012 und 2013 sowie um 25.000 Euro für 2014 und 2015 zu mindern (Niederschrift zur mündlichen Verhandlung vom 8.2.2021).
Die Rechtsstreite wurden daraufhin übereinstimmend für erledigt erklärt.
6. Die anschließenden Klagen, die auf die Feststellung der Unwirksamkeit der in den Verfahren 10 K 1650/19 und 10 K 1673/19 abgegebenen Erledigungserklärungen gerichtet waren, wurden mit Urteilen des 10. Senats des FG Baden-Württemberg vom 19.4.2021 10 K 541/21 bzw. 10 K 542/21 abgewiesen. Die Nichtzulassungsbeschwerden zum Bundesfinanzhof (BFH) hatten keinen Erfolg.
7. Mit Bescheiden vom 10.6.2021 wurden die Umsätze für 2012 und 2013 um jährlich 20.000 Euro (FA-Akte, … und mit Bescheiden vom 3.5.2021 für 2014 und 2015 – entsprechend der vor dem FG getroffenen tatsächlichen Verständigung– jährlich um 25.000 Euro vermindert (FA-Akte, …).
8. Mit Bescheid vom 18.11.2021 setzte der Beklagte (das Finanzamt –FA–) zunächst Aussetzungszinsen zur Umsatzsteuer 2012 bis 2015 wie folgt fest (FA-Akte, …).
Jahr |
2012 |
2013 |
2014 |
2015 |
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zu verzinsender Betrag (abgerundet auf volle 50 Euro) |
5.700 Euro |
5.700 Euro |
5.050 Euro |
5.050 Euro |
Beginn des Zinslaufs |
18.12.2017 |
18.12.2017 |
24.6.2019 |
24.6.2019 |
Ende des Zinslauf |
14.7.2021 |
14.7.2021 |
7.6.2021 |
7.6.2021 |
Zinszeitraum in vollen Monaten |
42 |
42 |
23 |
23 |
Zinssatz (0,5% je Monat) |
21 |
21 |
11,5 |
11,5 |
Zinsbetrag |
1.197 Euro |
1.197 Euro |
580 Euro |
580 Euro |
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insgesamt für 2012 – 2015 |
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3.554 Euro |
9. Hiergegen legte der Kläger am 15.12.2021 Einspruch ein.
Die festgesetzten Zinsen seien nicht mehr zeitgemäß.
10. Der Einspruch wurde mit Einspruchsentscheidung vom 27.12.2021 als unbegründet zurückgewiesen.
Soweit sich der Kläger gegen Höhe des Zinssatzes wende, sei auszuführen, dass das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zwar mit Beschluss vom 8.7.2021 (1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/17, BVerfGE 158, 282 bis 388, BGBl I 2021, 4303) erklärt habe, dass § 233a i.V.m. § 238 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung (AO; sog. Vollverzinsung) für alle Verzinsungszeiträume ab dem 1.1.2014 mit dem Grundgesetz unvereinbar sei. Eine Erstreckung der Unvereinbarkeitserklärung auf die anderen Verzinsungstatbestände nach der AO, namentlich auf Stundungs-, Hinterziehungs- und Aussetzungszinsen nach den §§ 234, 235 und 237 ...