rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Wirksame Einlegung eines aus dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach an ein besonderes Behördenpostfach geschickten Einspruchs
Leitsatz (redaktionell)
1. Im Verfahren der Aussetzung der Vollziehung: Die Eröffnung des Zugangs für die Übermittlung elektronischer Dokumente nach § 87a Abs. 1 Satz 1 AO kann durch ausdrückliche Erklärung oder konkludent sowie generell oder nur für bestimmte Fälle erfolgen.
2. Im Verfahren der Aussetzung der Vollziehung: Die Übermittlung eines Einspruchs aus dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach – beA – an ein besonderes elektronisches Behördenpostfach – beBPo – des Finanzamts ist zulässig und wirksam, wenn im amtlichen Adressverzeichnis des beA für das Finanzamt unter der Bezeichnung „ELSTER-FA-…” ein Postfach aufgelistet ist, das Finanzamt rechtlich verpflichtet ist, auch einen Zugang für die Übermittlung elektronischer Dokumente – auch soweit sie mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen sind – zu eröffnen und der Anwalt aus der Existenz des Finanzamts im Adressverzeichnis des beA gefolgert hat, dass das Finanzamt ein besonderes elektronisches Behördenpostfach eingerichtet und gemäß § 87a Abs. 1 Satz 1 AO den Zugang dazu konkludent eröffnet hat.
Normenkette
FGO § 69 Abs. 2 S. 2, Abs. 3 S. 1; AO § 357 Abs. 1 Sätze 1-2, § 87a Abs. 1 S. 1; EGovG § 2 Abs. 1; EGovG Berlin § 4 Abs. 1; ERVV; BRAO § 31a
Tenor
Die Vollziehung der Bescheide über Einkommensteuer 2012 bis 2015 und Vorauszahlungen zur Einkommensteuer 2018 ff. vom 21.05.2019 wird mit Wirkung vom Fälligkeitstag bis zum Ablauf eines Monats nach Bekanntgabe einer abschließenden Entscheidung über den Einspruch vom 27.05.2019 ausgesetzt.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Antragsgegner auferlegt.
Die Beschwerde wird zugelassen.
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten darum, ob die Antragstellerin rechtzeitig Einspruch eingelegt hat und ob der Antragsgegner die der Besteuerung zugrunde gelegten Betriebseinnahmen zu Recht um hinzugeschätzte Beträge erhöht hat.
Die Antragstellerin erzielte mit einem ambulanten Pflegedienst Einkünfte aus Gewerbetrieb, die sie im Wege des Bestandsvergleichs (§ 4 Abs. 1 Einkommensteuergesetz –EStG–) ermittelte. Zur Einziehung ihrer Honorarforderungen bediente sie sich – jedenfalls soweit es nicht um Privatzahler handelte – eines Abrechnungsunternehmens.
Die ursprünglichen Steuerfestsetzungen für die Streitjahre ergingen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung.
Vom 26.02.2018 bis 10.01.2019 führte der Antragsgegner bei der Antragstellerin eine Außenprüfung für die Streitjahre durch. Im Rahmen der Prüfung gingen der Prüferin Auswertungen des Abrechnungsunternehmens zu, die jeweils mit „Positionsstatistik kumulativ” überschrieben sind. Die Jahressummen dieser Statistiken überstiegen die von der Antragstellerin erklärten Betriebseinnahmen. Wegen des Inhalts im Einzelnen nimmt das Gericht Bezug auf die Heftung im Arbeitsbogen. Die Prüferin gelangte zu der Auffassung, dass die von der Antragstellerin erklärten Betriebseinnahmen hinter den tatsächlich erzielten Betriebseinnahmen zurückblieben. Diese ergäben sich aus den Positionsstatistiken des Abrechnungsunternehmens, wobei sich der Erhöhungsbetrag aus der Differenz zu den erklärten Betriebseinnahmen nach Abzug der Privatrechnungen ergebe. Ferner seien die Mietaufwendungen für die „B.-WG's” in Höhe von 11.175,00 EUR in 2013 nicht abzugsfähig. Davon ausgehend ermittelte die Prüferin Gewinnerhöhungen in Höhe von 108.280,00 EUR in 2012, 103.971,00 EUR in 2013, 142.871,00 EUR in 2014 und 161.987,00 EUR in 2015. Wegen der Einzelheiten nimmt das Gericht Bezug auf Tz 4 des Außenprüfungsberichts.
Davon ausgehend erließ der Antragsgegner am 21.05.2019 geänderte Einkommensteuerbescheide 2012 bis 2015, mit denen er die Einkommensteuer auf 59.577,00 EUR für 2012 (Nachzahlung: 45.477,00 EUR), 65.068,00 EUR für 2013 (Nachzahlung: 43.668,00 EUR), 118.113,00 EUR für 2014 (Nachzahlung: 61.409,00 EUR) und 85.286,00 EUR für 2015 (Nachzahlung: 68.035,00 EUR) festsetzte (Bl. 9 ff. Gerichtsakte –GA–). Mit dem Einkommensteuerbescheid 2015 war die Festsetzung nachträglicher Vorauszahlungen für 2018 und erhöhter Vorauszahlungen für die Jahre ab 2019 verbunden (Bl. 33 GA).
Am 05.07.2019 fragte die Antragstellerin durch ihren Bevollmächtigten beim Antragsgegner an, wann mit einer Entscheidung über ihren Antrag auf Aussetzung der Vollziehung vom 27.05.2019 gerechnet werden könne. Ein solcher Antrag (verbunden mit einem Einspruch u.a. gegen die Einkommensteuerbescheide 2012 bis 2015 nebst Vorauszahlungen für 2018 ff. vom 21.05.2019) hatte der Bevollmächtigte mit Schriftsatz vom 08.07.2019 per besonderem elektronischem Anwaltspostfach –beA-/Elektronisches Gerichts– und Verwaltungspostfach –EGVP– dem Finanzamt C. übermittelt, die den Schriftsatz vom 08.07.2019 mit Anlage am 07.08.2019 an den Antragsgegner übermittelte. Der Schriftsatz vom 27.05.2019 ist an den Antragsgegner gerichtet und ebenfalls mit „nur per beA/EGVP” überschrieb...