rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Örtliche Finanzgerichtszuständigkeit in Kindergeldangelegenheiten bei Klage einer Körperschaft als unterhaltsgewährende Stelle auf Auszahlung von Kindergeld
Leitsatz (redaktionell)
1. Klagt eine Körperschaft als unterhaltsgewährende Stelle auf Auszahlung von Kindergeld, richtet sich die örtliche Zuständigkeit der Finanzgerichte in entsprechender sinngemäßer Anwendung des § 38 Abs. 2a Satz 1 FGO in Verbindung mit § 11 AO nach dem Sitz der klagenden Körperschaft und nicht nach § 38 Abs. 2a Satz 2 FGO (Anschluss an Niedersächsisches Finanzgericht, Beschluss v. 23.3.2015, 14 K 93/14; gegen Finanzgericht Baden-Württemberg, Beschluss v. 22.3.2019, 3 K 3150/18).
2. Es ist auch ansonsten kein Grund ersichtlich, warum es in dem Fall, dass eine Körperschaft (juristische Person) auf Kindergeld klagt, weiter bei dem in § 38 Abs. 1 FGO vorhandenen Behördenprinzip bleiben sollte.
Normenkette
FGO § 38 Abs. 2a Sätze 1-2; EStG § 67 S. 2, § 74 Abs. 1 S. 4; GVG § 17a Abs. 2 S. 1, Abs. 4 S. 4
Tenor
Für das Verfahren wegen Kindergeld ist das Finanzgericht des Landes Sachsen-Anhalt örtlich unzuständig. Das Verfahren wird an das zuständige Finanzgericht Nürnberg verwiesen.
Gründe
Der Kläger begehrt im Rahmen einer Untätigkeitsklage von der Beklagten eine Entscheidung über einen gestellten Abzweigungsantrag auf Kindergeld.
Nach § 38 Abs. 2 a Satz 1 Finanzgerichtsordnung (FGO) ist in Angelegenheiten des Familienleistungsausgleichs nach Maßgabe der §§ 62 bis 78 des Einkommensteuergesetzes (EStG) das Finanzgericht zuständig, in dessen Bezirk der Kläger seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Hat der Kläger im Inland keinen Wohnsitz und keinen gewöhnlichen Aufenthalt, ist das Finanzgericht zuständig, in dessen Bezirk die Behörde, gegen welche die Klage gerichtet ist, ihren Sitz hat, § 38 Abs. 2 a Satz 2 FGO.
Mit dieser – zunächst zeitlich befristeten Sonderregelung und durch Artikel 3 des Gesetzes vom 21.12.2015, BGBl. I 2015, 2517, mit Wirkung vom 31.12.2015 dauerhaften Regelung – hat der Gesetzgeber auf die Neuorganisation der Familienkassen der Bundesagentur für Arbeit reagiert, bei der die Zahl der örtlichen Familienkassen drastisch reduziert wurde, da es ohne diese Änderung zu Ungleichgewichten bei der Belastung der Finanzgerichte in Kindergeldsachen gekommen wäre.
Vor dem Hintergrund, dass die Änderung der örtlichen Zuständigkeit der Bürgerfreundlichkeit dienen sollte (vgl. BT-Drucks 17/12535, S. 4; BT-Drucks 17/13034, S. 7), sieht es der beschließende Senat in Übereinstimmung mit dem Niedersächsischen Finanzgericht (Beschluss vom 23. März 2015, 14 K 93/14, EFG 2015, 1290, juris, m.w.N., a.A. Finanzgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 22. März 2019, 3 K 3150/18, juris, und Dr. Volker Wendt in: Anmerkung zum Beschluss des FG Hannover vom 23. März 2015 14 K 93/14, EFG 2015, 1291) sowie der überwiegenden Ansicht in der Literatur (von Beckerath in Gosch, AO/FGO-Kommentar, 131. Lfg. April 2017, § 38 Rz. 18; Herbert in Gräber, Kommentar zur FGO, 9. Auflage 2019, § 38 Rz. 16; Steinhauff in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO-Kommentar, 254. Lfg. August 2019, § 38 Rz. 39a; Falk in: FGO – eKommentar, § 38 FGO Rz. 9; a.A. Ossinger in Schwarz/Pahlke, AO/FGO-Kommentar, 213. Lfg. Mai 2023, § 38 Rz. 13; Brandis in Tipke/Kruse, AO/FGO-Kommentar, 153. Lfg. August 2018, § 38 Rz. 4) als sachgerecht an, die örtliche Zuständigkeit in dem vom Gesetzgeber nicht bedachten Fall, dass die Auszahlung des Kindergeldes nicht von dem Kindergeldberechtigten, sondern nach §§ 67 Satz 2, 74 Abs. 1 Satz 4 EStG von der unterhaltsgewährenden Stelle begehrt wird, unter sinngemäßer Anwendung des § 38 Abs. 2a Satz 1 FGO und nicht nach § 38 Abs. 2a Satz 2 FGO zu bestimmen.
Nach Sinn und Zweck der Regelung tritt deshalb für den Fall, dass es sich bei dem Kläger nicht um eine natürliche Person, sondern wie im Streitfall um eine Körperschaft handelt, an Stelle des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts der Sitz im Sinne des § 11 der Abgabenordnung. Denn diese Regelung entspricht in ihrer Funktion der Wohnsitzregelung bei natürlichen Personen.
Es ist auch ansonsten kein Grund ersichtlich, warum es in dem Fall, dass eine Körperschaft auf Kindergeld klagt, weiter bei dem in § 38 Abs. 1 FGO verankerten Behördenprinzip bleiben sollte und nicht das Wohnsitzprinzip greift. Durch die Sonderregelung in § 38 Abs. 2a FGO sollte auch dem Umstand entgegengewirkt werden, dass sich durch die Neuorganisation der Familienkassen andernfalls für die Kläger in Kindergeldsachen häufig deutlich längere Anfahrtswege ergeben hätten, obwohl gerade bei dem Kindergeld als im Steuerrecht verankerter Sozialleistung ein bürgernaher Rechtsschutz geboten ist. Hiervon kann auch – wie im Streitfall – eine im berechtigten Interesse auf Auszahlung des Kindergeldes klagende Körperschaft betroffen sein, insbesondere dann, wenn diese nicht über mehrere im Bundesgebiet verteilte Standorte verfügt.
Zudem ist zu beachten, dass die Regelung zu einer gleichmäßig...