rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufhebung einer geänderten Festsetzung eines Verzögerungsgelds wegen Nichtberücksichtigung der teilweisen Einreichung angeforderter Unterlagen. für die gerichtliche Überprüfung der Ermessensausübung maßgeblicher Sachverhalt bei geänderter Festsetzung eines Verzögerungsgelds. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz unter Berücksichtigung eines Mindestsanktionsbetrags von 2.500 Euro
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Finanzbehörde hat bei der Festsetzung eines Verzögerungsgelds sowohl ihr Entschließungs- als auch ihr Auswahlermessen zu betätigen und dabei insbesondere den maßgeblichen Sachverhalt vollständig zu ermitteln und zu berücksichtigen.
2. Hat das FA den Bescheid über die Festsetzung eines Verzögerungsgelds wegen Nichtvorlage von Unterlagen nach Klageerhebung geändert und dabei nicht berücksichtigt, dass die angeforderten Unterlagen zwischenzeitlich dem Betriebsprüfer teilweise übergeben worden sind, so ist der geänderte Bescheid wegen fehlender Berücksichtigung des vollständigen Sachverhalts aufzuheben und das FG hat über die Rechtmäßigkeit des ursprünglichen Bescheids zu entscheiden. Das gilt auch dann, wenn der Rechtsbehelfsstelle der (zumindest teilweise) Eingang der angeforderten Unterlagen beim Erlass des geänderten Bescheids infolge einer fehlenden Benachrichtigung durch den Betriebsprüfer (möglicherweise) nicht bekannt war.
3. Im Falle einer Änderung einer Festsetzung eines Verzögerungsgelds ist nicht nur lediglich der bei dessen erstmaligen Festsetzung verwirklichte, sondern vielmehr der im Zeitpunkt der jüngsten Verwaltungsentscheidung verwirklichte Sachverhalt für die gerichtliche Beurteilung der Ausübung des behördlichen Ermessens maßgeblich (Abgrenzung zu BFH v. 16.6.2011, IV B 120/10).
4. Mit Ausnahme einer Spannbreite des Verzögerungsgeldes zwischen 2.500 Euro und 250.000 Euro sieht § 146 Abs. 2b AO keine ausdrücklichen Ermessensleitlinien oder -grenzen vor, so dass sich die behördliche Ermessensentscheidung nach den allgemeinen Grundsätzen (§ 5 AO) richten muss. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist angesichts des Mindestbetrags von 2.500 Euro dabei bereits im Rahmen der Betätigung des Entschließungsermessens zu berücksichtigen. Demnach ist es ausgeschlossen, im Rahmen des Entschließungsermessens von einer Vorprägung auszugehen, wonach jede Verletzung der Mitwirkungspflichten (§ 200 Abs.1 AO) – unabhängig davon, ob den Steuerpflichtigen ein Schuldvorwurf trifft – grundsätzlich zur Festsetzung eines Verzögerungsgelds führt; erforderlich ist vielmehr eine an der Sanktionsuntergrenze auszurichtende Würdigung des Einzelfalls.
5. Für die Gewichtung des Verschuldens ist u. a. die Dauer der durch die Nichtvorlage der Buchführungsunterlagen eingetretenen Verzögerung der Außenprüfung mitentscheidend.
Normenkette
AO § 146 Abs. 2b, §§ 5, 121, 200 Abs. 1; FGO §§ 102, 68
Nachgehend
Tenor
Der Bescheid über die Festsetzung eines Verzögerungsgelds vom 01. Juni 2010 und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 27. Juli 2010 sowie der den Bescheid vom 01. Juni 2010 ändernde Bescheid vom 01. Oktober 2010 werden aufgehoben.
Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages oder Hinterlegung abwenden, soweit nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Festsetzung eines Verzögerungsgelds.
Die Klägerin ist durch Eintritt von Kommanditisten in die A. & B. …gesellschaft OHG entstanden, letztere wurde am 21. Juni 2012 erstmals in das Handelsregister eingetragen und führte zuvor die Bezeichnung A. & B. …gesellschaft GbR.
Mit Schreiben vom 08. April 2010 forderte der Beklagte die GbR im Rahmen einer Außenprüfung für die Jahre 2004 bis 2006 durch den Betriebsprüfer R. auf, die Buchführungsunterlagen und den Datenträger bis zum 15. April 2010 vorzulegen. Die erste Aufforderung sei bei Prüfungsbeginn am 01. März 2010 erfolgt. Einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung habe er abgelehnt. Hemmende Anträge zur Prüfung seien nicht gegeben. Ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung liege nach Mitteilung des Finanzgerichts nicht vor. Auf die Möglichkeit der Festsetzung eines Verzögerungsgelds dürfe er hinweisen.
Mit Schreiben vom 21. April 2010 forderte der Beklagte die GbR unter Bezugnahme auf sein Schreiben vom 08. April 2010 auf, die im Rahmen der Betriebsprüfung angeforderten Unterlagen bis zum 27. April 2010 vorzulegen. Die Mitwirkungspflichten der GbR ergäben sich aus § 200 Abs. 1 Abgabenordnung (AO) und § 147 Abs. 6 AO. Im weiteren Text des Schreibens heißt es: „Sollten Sie die angeforderten Unterlagen nicht bis zum 27.04.2010 vorlegen, werde ich Verzögerungsgelder wie folgt festsetzen: