rechtskräftig

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Maßgeblichkeit des Sachverhalts im Zeitpunkt der jüngsten Verwaltungsentscheidung bei geänderter Verzögerungsgeldfestsetzung. Ausübung des Entschließungsermessens bei der Festsetzung eines Verzögerungsgelds nach § 146 Abs. 2b AO. Keine Vorprägung des Entschließungsermessens

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Im Falle der Änderung der Festsetzung eines Verzögerungsgelds nach § 146 Abs. 2b AO ist der Zeitpunkt der jüngsten Verwaltungsentscheidung für die gerichtliche Beurteilung der Ausübung des Ermessens durch die Verwaltung maßgeblich. Aus dem Beschluss des BFH v. 16.6.2011, IV B 120/10 (BStBl 2011 II S. 855) ergibt sich nichts Anderes.

2. Das Finanzamt hat bei der Festsetzung eines Verzögerungsgelds sowohl ihr Entschließungs- als auch ihr Auswahlermessen zu betätigen und insbesondere den maßgeblichen Sachverhalt vollständig zu ermitteln. Dabei ist bereits im Rahmen der Betätigung des Entschließungsermessens, d.h. bei der Entscheidung, ob gegenüber einem Steuerpflichtigen ein Verzögerungsgeld festgesetzt wird, eine ggf. verzögerte Erfüllung des Mitwirkungsverlangens zu berücksichtigen. Dies gilt auch dann, wenn das Verlangen lediglich teilweise erfüllt worden ist.

3. Maßstab der Betätigung des Entschließungsermessens durch das FA sowie nachvollziehbarer Gegenstand seiner Begründung muss sein, ob die Festsetzung eines Verzögerungsgelds in Höhe der Sanktionsmindestgrenze mit Rücksicht auf die Umstände der zu beurteilenden Pflichtverletzung/en sowie das Ausmaß der Beeinträchtigung der Prüfung angemessen ist. Ausgeschlossen ist, im Rahmen des Entschließungsermessens von einer Vorprägung auszugehen, wonach jede Verletzung der Mitwirkungspflichten – unabhängig davon, ob den Steuerpflichtigen ein Schuldvorwurf trifft – grundsätzlich zur Festsetzung eines Verzögerungsgelds führt.

 

Normenkette

AO § 146 Abs. 2b, §§ 121, 200, 5; FGO § 102

 

Tenor

Der Bescheid über die Festsetzung eines Verzögerungsgelds vom 01. Juni 2010 und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 27. Juli 2010 sowie der den Bescheid vom 01. Juni 2010 ändernde Bescheid vom 01. Oktober 2010 werden aufgehoben.

Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abwenden, soweit nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit leistet.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Festsetzung eines Verzögerungsgelds.

Mit Schreiben vom 08. April 2010 forderte der Beklagte die Klägerin im Rahmen einer Außenprüfung durch den Betriebsprüfer R. auf, die Buchführungsunterlagen und den Datenträger bis zum 15. April 2010 vorzulegen. Die erste Aufforderung sei bei Prüfungsbeginn am 01. März 2010 erfolgt. Einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung habe er abgelehnt. Hemmende Anträge zur Prüfung seien nicht gegeben. Ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung liege nach Mitteilung des Finanzgerichts nicht vor. Auf die Möglichkeit der Festsetzung eines Verzögerungsgelds dürfe er hinweisen.

Mit Schreiben vom 21. April 2010 forderte der Beklagte die Klägerin unter Bezugnahme auf sein Schreiben vom 08. April 2010 auf, die im Rahmen der Betriebsprüfung angeforderten Unterlagen bis zum 27. April 2010 vorzulegen. Die Mitwirkungspflichten der Klägerin ergäben sich aus § 200 Abs. 1 Abgabenordnung (AO) und § 147 Abs. 6 AO. Im weiteren Text des Schreibens heißt es: „Sollten Sie die angeforderten Unterlagen nicht bis zum 27.04.2010 vorlegen, werde ich Verzögerungsgelder wie folgt festsetzen:

Buchführungsunterlagen

Frist 27.04.2010

2.500 EUR

Datenträger

Frist 27.04.2010

2.500 EUR”.

Am 31. Mai 2010 quittierte der beim Beklagten beschäftigte Betriebsprüfer R. den Erhalt einer

„Daten-CD

A. & B.

Verwaltungs GmbH 2004-2006

A. & B.

Besitzgesellschaft GbR 2004 – 2006”.

Mit Bescheid vom 01. Juni 2010 setzte der Beklagte der Klägerin gegenüber ein Verzögerungsgeld i.H.v. 2.500,– EUR fest. Er führte aus, mit Schreiben vom 08. April 2010 habe er die Klägerin unter Hinweis auf die Möglichkeit der Festsetzung eines Verzögerungsgelds aufgefordert, gemäß § 200 Abs. 1 AO näher bezeichnete Unterlagen bis zum 15. April 2010 vorzulegen. Jener Aufforderung sei sie ohne Angabe von Gründen nicht nachgekommen. Durch die Möglichkeit, ein Verzögerungsgeld zu verhängen, solle der Steuerpflichtige zur zeitnahen Mitwirkung an der Außenprüfung angehalten werden. Das Verhalten der Klägerin verzögere die Außenprüfung, die derzeit wegen des Fehlens der Unterlagen nicht weiter geführt werden könne.

Der hiergegen gerichtete Einspruch ging beim Beklagten am 04. Juni 2010 ein. Die Klägerin führte aus, sie habe die angeforderten Unterlagen in Form einer CD an das Finanzamt (FA) gesandt. Sie habe einen Antrag auf Aussetzung der Prüfungsanordnung nach § 69 Abs. 3 FGO gestellt, über den noch nicht entschieden worden sei. Die Frist für den Einspruch gegen die unter dem 07. Mai 2010 erfolgte Ablehnung der...

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