Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeld bei Besuch der Berufsschule und im Selbststudium, nachdem der Ausbildungsbetrieb seine Tätigkeit als Folge der Insolvenz eingestellt hat
Leitsatz (redaktionell)
Nach der Verwaltungsanweisung (DA-Fam EStG 63.3.2.6. Abs. 5) ist ein Auszubildender, der die Abschlussprüfung nicht besteht, weiter als Kind in Ausbildung (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2a EStG) zu berücksichtigen, wenn sich das Ausbildungsverhältnis auf sein Verlangen hin bis zur nächstmöglichen Wiederholungsprüfung verlängert, das Kind zur Prüfung weiterhin zugelassen wird und es seine Berufsausbildung nicht durch die Aufnahme einer Vollzeiterwerbstätigkeit unterbricht. Diese Auffassung ist zu eng. Auch ein Selbststudium kann zumindest dann, wenn es dazu führt, dass die (wiederholungs-) Prüfung bestanden wird, die an eine Ausbildung zu stellenden Anforderungen erfüllen.
Normenkette
EStG § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2a
Tenor
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 10. Juli 2008 verpflichtet, der Klägerin für deren Tochter J Kindergeld für den Zeitraum August 2007 bis Januar 2008 zu gewähren.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abwenden, sofern nicht die Klägerin zuvor Sicherheit leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin ist die Mutter der am 5. März 1986 geborenen Tochter J. Sie streitet mit der Beklagten um die Berechtigung zum Erhalt von Kindergeld für den Zeitraum August 2007 bis Januar 2008.
J absolvierte ab 2. August 2004 eine Berufsausbildung als Kauffrau für Bürokommunikation (KiG, Bl. 14). Der Ausbildungsbetrieb stellte im Mai 2007 seine Tätigkeit als Folge der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein (KiG, Bl. 30). Nachdem J im Juni 2007 die Abschlussprüfung nicht bestanden hatte (KiG, Bl. 30), erließ die Beklagte am 19. Februar 2008 einen Bescheid, in dem sie die Festsetzung des Kindergeldes ab Juli 2007 aufhob (KiG, Bl. 38).
Hiergegen legte die Klägerin Einspruch ein (KiG, Bl. 44), den die Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 15. April 2008 (Bl. 8) als unbegründet zurückwies.
Am 19. Mai 2008 erhob die Klägerin Klage (Bl. 1). Nachdem zwischenzeitlich die Beklagte mit Bescheid vom 10. Juli 2008 für den Zeitraum Juni/Juli 2007 Kindergeld bewilligt hat (Bl. 42), beantragt die Klägerin sinngemäß (Bl. 2),
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 10. Juli 2008 zu verpflichten, für J Kindergeld für den Zeitraum August 2007 bis Januar 2008 zu gewähren.
Die Klägerin macht geltend, J habe im Januar 2008 die (Wiederholungs-) Prüfung absolviert und auch bestanden. Ab August 2007 habe sie zweimal wöchentlich die Berufsschule besucht und sich durch Nachhilfe und im Eigenstudium entsprechend auf die Prüfung vorbereitet. Auch ohne entsprechenden Schulbesuch müsse in der Phase zwischen Nichtbestehen der ersten Prüfung und Absolvierung der Wiederholungsprüfung Kindergeld gezahlt werden.
Die Beklagte beantragt sinngemäß (Bl. 52),
die Klage abzuweisen.
Sie verweist darauf, dass nicht nachgewiesen sei, dass J regelmäßig die Berufsschule besucht habe. Dies jedoch sei nach internen Anweisungen der Beklagten grundsätzlich erforderlich, um weiterhin Kindergeld zu erhalten.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und die beigezogene Kindergeldakte verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und auch begründet. Die Klägerin hat für den Streitzeitraum von August 2007 bis einschließlich Januar 2008 einen Anspruch auf Kindergeld für ihre sich in dieser Zeit noch in Ausbildung befindliche Tochter J.
1. Gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2a EStG besteht Anspruch auf Kindergeld für ein Kind, das sich in Berufsausbildung befindet.
In Berufsausbildung befindet sich, wer sein Berufsziel noch nicht erreicht hat, sich aber ernstlich darauf vorbereitet. Der Vorbereitung auf ein Berufsziel dienen alle Maßnahmen, bei denen es sich um den Erwerb von Kenntnissen, Fähigkeiten und Erfahrungen handelt, die als Grundlagen für die Ausübung des angestrebten Berufs geeignet sind. Die Ausbildungsmaßnahme muss nicht in einer Ausbildungs- oder Studienordnung vorgeschrieben sein. Die steuerliche Leistungsfähigkeit der Eltern ist auch dann gemindert, wenn sich Kinder unabhängig von vorgeschriebenen Studiengängen in Ausbildung befinden und von ihren Eltern unterhalten werden (vgl. dazu BFH vom 9. Juni 1999 VI R 33/98, BStBl II 1999, 701; VI R 34/98, BStBl II 1999, 705; VI R 50/98, BStBl II 1999, 706; VI R 92/98, BStBl II 1999, 708; VI R 143/98, BStBl II 1999, 710, und VI R 16/99, BStBl II 1999, 713).
Die Berufsausbildung endet regelmäßig mit dem Erreichen des Ausbildungsziels, d.h. mit Bekanntgabe des Ergebnisses der für den Abschluss der jeweiligen Berufsausbildung vorgesehenen Prüfung (vgl. DA-Fam EStG 63.3.2.6. Abs. 4), es sei denn, das Kinder hätte bereits vorher eine Vollzeiterwerbstätigkeit aufgenommen (BFH vom 24. Mai 2000 VI R 143/99, BStBl II 2000, 473).